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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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mehr. Ich sah mich von staatlicher Seite immer wieder enttäuscht und war weg. Frank Friedrich.
    Die Wahrheit ist immer konkret, Lenin.
    Was das Erzählen anbelangt, ist der kleine Jakob genauso unersättlich wie sein Großvater. Beiden musst du ausschweifende Geschichten spinnen, und weder dein Sohn noch dein Schwiegervater schlafen ohne Weiteres ein. Bin ich denn so ein lausiger Erzähler?, fragst du Richard beim Frühstück. – Du bist ein Erzähler in Eile, sagt Richard mit vollem Mund, so was merkt der Zuhörer sofort, und dann versucht der Zuhörer, den Erzähler zu fesseln, denn alles kann immer auch andersherum betrieben werden. Friederike spricht weder mit dir noch mit ihrem Vater. Doch nachdem du in den nächsten Tagen und Wochen die Kugelpfirsichprüfung, die Singvereinprüfung, die Tennis-, die Kaffeeklatsch- und sogar die Hundeprüfung bestehst, sagt Richard zu seiner Tochter: Flämmchen, ich hab ihn mir von allen Seiten beguckt, es sind überwiegend gute Seiten. Du wirst nicht die reinste Freude an ihm haben, er versteht nichts vom Meer und nichts von den Bergen, aber deine Freude wird überwiegen. Nimm ihn, und Erna, hör auf zu flennen.
    Ihre Frau hat erklärt, dass sie nicht in den Westen will. Sie glaubt nicht, dass das Leben im Westen besser ist. Außerdem wird der Vater Ihrer Ziehtochter einer Übersiedlung des Mädchens nie zustimmen. Er ist unserem Land sehr verbunden, so wie seine ganze Familie. Haben Sie den ersten Mann Ihrer Frau kennengelernt? Sind Sie über die Familienverhältnisse in Kenntnis gesetzt? Ihre Frau ist sehr kooperativ.
    Der Schließer sagt: Das ist Nummer Eens. Och wenn Sie eher da waren, sind Sie Nummer Zwo. Wer von der Tür rechts schläft, bekommt die Eens, Sie schlafen links, sind also die Zwo. In Zukunft melden Sie sich als Zwohundertzwo-Zwo und Sie, Krüger, als Zwohundertzwo-Eens. Und keene Fisimatentchen. – Zwohundertzwo-Zwo, sag mal, wieso bist du hier, fragt Krüger, der nach Chemie stinkt. Er sieht aus wie ein begossener Pudel. Von Kopf bis Fuß wurde er desinfiziert, weil die Tauben seine Zelle zugeschissen hatten und er voller Milben war. Mitsamt seiner Sträflingskleidung wurde er desinfiziert. – Politischer, sagst du. Dieser Krüger ist schikaniert worden, so ist es über den Zellenfunk gekommen, der wird kein Zuträger sein. Und warum bist du hier? – Na, auch Politischer. Warum sollte man sonst in einem Stasi-Knast sitzen? Krüger ist keine dreißig, hat rappelkurze blonde Haare, eine Nackenfalte und eine gebrochene Nase. Und sie haben dich hart rangenommen?, fragst du. – Sie haben’s versucht, aber mich kriegen sie nicht klein. Ich war Boxer. Krüger zieht sein nasses Hemd aus. Hier, alles aus Stahl. Stell dich mal drauf. Er legt sich auf den Boden. Na los, stell dich drauf, Bauch oder Brust, egal. – Lass mal, Zwohundertzwo-Eins. – Ich hab gesagt, du sollst dich da draufstellen. Krügers Stirn teilt eine Ader, dick wie ein Regenwurm. – Ist gut, ich mach’s. Wegen des verdammten Fußpilzes lässt du die kratzenden Socken an und stellst dich auf Krügers Bauch. Du stehst auf seinem Bauch wie auf einem Straßenpflaster. Siehst du, Nummer Zwei, hart wie Kruppstahl, sagt Krüger. – Ja, sagst du, so eine Muskulatur hab ich noch nie gesehen. – Das will ich meinen, sagt Krüger und steht auf. Nachts fragt er: Was wirste alles machen, wenn du erst mal im freien Deutschland bist? – Mit einem Flugzeug immer nach Westen fliegen, sodass nie Tag wird, sagst du. In Paris über eine Brücke gehen, ein Konzert von Dylan hören. Und du? – Ein Konzert von Heino. – Machst du Witze? – Wieso soll ich Witze machen? – Ach nichts, Heino ist super. – Erzähl mehr, was du im Westen machen willst. – Ich habe mal in einer Reportage gelesen, wie einer aus den Alpen nach Italien runtergefahren ist, zahllose Serpentinen mit Motorbremse. Oben am Pass gab’s noch Schnee und Eis, unten dann Zitronen und Palmen. – Ich geh als Erstes in’ Puff, Frankfurt, Kaiserstraße, oder Hamburg, Große Freiheit. – Was genau hast du eigentlich angestellt? – Die Mauer muss weg, hab ich gerufen. – Und mehr nicht? – Na ja, an Führers Geburtstag. Volksverhetzung. Als Krüger denkt, dass du schläfst, holt er sich einen runter. Danach weint er. Das Licht brennt.
    Was ist denn mit dem Sohn vom Pohlenz oder mit Graumanns Gerd?, barmt Erna. Die entstammen alteingesessenen Familien und machen dir seit Langem den Hof. Also, nichts gegen Sie, lieber

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