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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Bitte.
    Jeder Reiz wird durch Ausbleiben oder Wiederholung stumpf.
    Ein Leipziger, zum Beispiel Frank Friedrich, will eine Naumburgerin, zum Beispiel Friederike Reinhardt, testen. Auf dem Weinfest, zum Beispiel, fragt er sie: Kennse Schillern? Sie antwortet: Ich bin doch kein Glühwürmchen. Test bestanden.
    Ich bin, genau wie Sie, gebunden an diesen verfluchten Ort, gefangen geradezu. Ich verstehe ja meine Frau bis zu einem bestimmten Grad: Ich verbringe den Tag und die halbe Nacht hier mit Ihnen, Sie sehe ich öfter als meine Frau, von Ihnen erfahre ich alles, von ihr nichts mehr. Wenn ich nach Hause komme, schläft sie längst, und wenn ich aufstehe, ist sie schon weg zur Arbeit. Man entfremdet sich, es ist nicht leicht, die Frau eines Genossen zu sein, und es ist nicht leicht, ein liebender Genosse zu sein. Ich hatte immer viel Verständnis für meine Frau. Sie hatte es schwer, schon als Kind. Ihre Eltern haben sie ins Heim abgeschoben, mit vier, da kommt das wahrscheinlich auch her, das Labile. Keine Sorge, ich habe das Gerät ausgeschaltet. Meine Frau, ich stelle sie mir vor auf einer Schaukel. Schiefer Pony, selbst geschnitten, sie macht solche Sachen, verunstaltet sich. Sie hat diesen Selbsthass. Ich führe es mir vor Augen. Sie ist nicht mehr bei den Kleinen, aber noch nicht in der großen Gruppe, keiner will sie. Die Erzieherinnen blicken bei ihr nicht durch, den meisten ist sie zu schön, Mädchen verübeln das anderen Mädchen, also ist sie einsam, verachtet sich dafür und macht sich hässlich. Bis ihr auffällt, dass sie Schlag bei Jungs hat. Von denen holt sie sich, was ihr sonst niemand gibt: Anerkennung. Sie kapiert immer besser, wie sie Wirkung erzielt, große Augen, lange Haare, der Busen wächst, ein hübsches Ding eben. Eines Tages heißt es, ein Mann und eine Frau würden ins Heim kommen und ein Mädel adoptieren wollen. Alle richten sich her, und sie legt sich besonders ins Zeug. Der Mann ist nett, die Frau ist schön, beide streicheln ihr über den Kopf, fragen, wie alt sie ist und wie sie heißt. Sie sagt, wie alt sie ist und dass sie Eva heißt. Der Frau stockt das Blut, das unserem Mädchen längst gefroren ist, denn es sind ihre eigenen Ollen, die da vor ihr stehen. Das ist doch der Hammer, da dreht man doch durch. Mit fünfzehn haut sie ab und treibt sich rum. Sie sieht aus wie achtzehn, niemand sucht sie. Sie hängt sich an Typen, reist Schaustellern hinterher, Kerle halten sie aus. Ich seh’s förmlich vor mir, sie fährt Autoscooter, und es funkt oben am Elektronetz, während ihr so ein Windhund ins Lenkrad greift. Aber sie verbessert sich: Fotografen quatschen sie an und Modelackaffen. Ihr Aussehen ist alles, was sie hat, ihr ganzes Kapital. Natürlich schwärmt sie von der ganz großen Liebe. Irgendwann heiratet sie einen armen Poeten von rotem Adel, denkt, das ist sie, die ganz große Liebe. Sie kriegt früh ein Kind, holt die Schule nach, der Schwiegerpapa besorgt ihr einen Studienplatz, sie modelt, will was aus sich machen und gibt ihre Tochter in die Wochenkrippe. Sie würden jetzt sagen, dass sich die Geschichte immer wiederholt, und in unserem Fall würde ich Ihnen fast recht geben. Sie verstößt den Poeten und nimmt den nächsten Besten. Irgendwann tauche ich auf, weil ich bei Berlin studiere. Ich verfalle ihr natürlich, himmle sie an, schwärme, verknalle mich bis über beide Ohren. Sie lässt sich scheiden, und jetzt leide ich an ihr wie ein Hund. Man soll eben keine Weiber heiraten, die man auf einer Modenschau kennengelernt hat. Was glauben Sie denn, was die treibt, während ich hier bei Ihnen festsitze? Einmal Flittchen, immer Flittchen! Abends duscht sie nackt im Garten, ich weiß, dass die Nachbarn schon Logenplätze vermieten, und sie will ja Zuwendung, weil ich sie ihr nicht geben kann, weil ich hier mit Ihnen festsitze. Dubiose Kerle gehen bei uns ein und aus, während ich hier gefangen bin. Gerade jetzt, zu dieser schönen Jahreszeit. Aber Eva kennt kein Pardon. Heißt Ihre Frau nicht auch Eva? – Ja.
    Die größte Hilfe für einen Häftling ist die Phantasie. Die schlimmste Strafe für einen Häftling ist die Phantasie. Das größte Glück für einen Häftling ist die Erinnerung. Das größte Unglück für einen Häftling ist die Erinnerung.
    Ich bin ein Adler, ich bin ein Löwe, ich bin ein Berg, ich bin der Wind geschwind, ich bin ein Riese, ich bin ein Wasserfall, ich bin eine Pauke, ich bin eine Posaune, ich bin ein Meer, ich bin ein Mustang, ich bin das

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