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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Kontakten zu ausländischen Einrichtungen haben sie die Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft verletzt. Ihr Handeln unterstützt außerdem revanchistische Kreise in der BRD , die die infolge des Zweiten Weltkriegs entstandenen Gegebenheiten missachten, die Existenz zweier deutscher Staaten negieren und ein Deutschland in den Grenzen des Jahres 1937 propagieren.
    Auf einem entlegenen Gleis, draußen vor der dunklen Halle, wartet der Grotewohl-Express, der euch und ein paar andere nach Brandenburg bringen wird, Bahnreisende letzter Klasse. Ein paar Trinker werden von der Transportpolizei abgeführt, der Nachtzug nach Prag oder Budapest dampft vor sich hin, schwarze Falter stürzen aus den Kuppeln: Fledermäuse, die ihr Nachtmahl fangen. Ihr seid so ziemlich die einzigen Reisenden. Nur an Gleis elf herrscht nächtlicher Trubel. Frauen und Männer stehen auf den Zehenspitzen, winken und schließen Kinder in die Arme. Ein um Stunden verspäteter Zug aus Ribnitz-Damgarten hat die letzten Ferienlagerkinder nach Hause gebracht. Morgen geht die Schule wieder los. Von welchem Gleis ist eigentlich deine Mutter abgefahren? Fröhlich schwatzend, ziehen die übermüdeten Mädchen und Jungen an der Hand ihrer Eltern ab, der Vater trägt den Koffer, die Mutter die Abenteuer. Niemand schert sich um euch Nachtgestalten, bis auf einen groß gewachsenen Jungen mit einem Akkordeonkoffer, einer Reisetasche und ungewohnt vollem Gesicht. Allein verlässt er Gleis elf und sieht zu euch herüber. Du erkennst ihn auch. Du hebst deine gefesselten Arme über den Kopf. Er winkt nicht zurück. Pfoten auf’n Schwanz!
    Als der Richter geendet hat, sagt eine der Schöffinnen, die dich an Anita erinnert: Ihre Not rechtfertigt es nicht, sich gegen Ihre Mitmenschen zu wenden. Gegen uns.
    Zuerst läuft Speichel unter die Zunge, dann sammelt sich Flüssigkeit vor dem kleinen Damm der Lider, und weil die Augen keine Schwämme sind, werden Wangen und Hals nass.
    Drei Meter entfernt sitzt deine Frau, und ihr seht euch nicht an.
    He’s leaving – leaving – on that midnight train to Georgia – leaving on a midnight train. Said he’s going back – going back to find – to a simpler place in time. Oh yes he is.
    Es muss wohl doch heißen: Der du eintrittst.

22. Einreiseantrag
    XVIII/5
Leipzig, 26.05.1983
     
     
    Vorschlag zum Einreiseantrag für W i n t e r, Polina
    vom 29.05. – 02.06.83 zur Teilnahme an der Beisetzung ihres Sohnes F r i e d r i c h, Rudolf am 30.05.1983
     
     
    Trotz Vorliegen humanitärer Gründe wird vorgeschlagen, die beantragte Einreise abzulehnen.
     
    Begründung
     
    Der zweite Sohn der W., der F r i e d r i c h, Frank, sitzt seit dem 12.3.1983 in der UHA des MfS Leipzig wegen Verbreitung von ca. 60   –   80   Flugblättern staatsfeindlichen Inhalts in der Nacht vor der Eröffnung der LFM 83. Er nahm persönlichen Kontakt zur Ständigen Vertretung der BRD auf, erkundete die Möglichkeiten eines ungesetzlichen Grenzübertritts und nahm über die W. postalische Verbindung zum BMB auf. Der F. besitzt eine zutiefst feindliche Einstellung zur DDR. Mit hoher Intensität unternahm und unternimmt die W. Aktivitäten zur Unterstützung seines ungesetzlichen Antrags auf Übersiedlung nach der BRD.
    Nach ihrer Übersiedlung in die BRD wurde W.s Verbindung zur Feindorganisation HVD bewiesen.
    Sowohl aus dieser Sicht erscheint es gerechtfertigt, den jetzt gestellten ER-Antrag abzulehnen. Hinzu kommt die op. Lage unmittelbar in Zusammenhang mit Feindaktivitäten im Umfeld der Besuchsreise des MdB und Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Dr.   Hans-Jochen Vogel beim Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker.
     
    D o b y s c h
    Hauptmann
     
    bestätigt:
    Leiter der Abteilung
     
    A l t w a s s e r
    Major

23. Tanzen
    »Was heißt das?«, fragt Eva. Einen Schriebs vom Vater hält sie ihm unter die geschwollene Nase, aus Sri Lanka, Ceylon oder vom Mond. Winzig klein und mit Kuli hat der Vater etwas auf die Innenseite einer Zigarettenschachtel gekritzelt. »Was ist das für ein Wort?« Mit Stutenaugen glotzt sie ihn an, die Wimperntusche ist überall, nur nicht auf ihren Wimpern, und am liebsten will sie das Wort aus ihm rausschütteln. »Keine Ahnung, woher soll ich das wissen? Ich kann das Wort auch nicht entziffern.« »Liebes Evchen«, steht ganz oben auf dem Kassiber. Natürlich ist das Wort lesbar, man muss nur den Vater und seine Schrift lang genug kennen. Das Wort lautet »Schauer«,

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