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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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und es ist nicht der Regen gemeint.
    Mo tritt nicht ein. »Bist du allein zu Haus?«, fragt er und bleibt auf dem spiegelnassen Bürgersteig stehen. – »Ahoi, Mo!« – »Ahoi, Jakob! Braucht ihr irgendwie Hilfe?« – »Eva ist drinnen, soll ich sie holen?« – »Lass mal, muss gleich weiter. Geh heute noch auf große Fahrt.« – »Deine Uhr, die ist immer noch erste Sahne, aber die Zahlen sind ganz blass geworden. So ein Batterieknopf wäre gut.« – »Ist notiert. Und wenn ihr in Seenot seid, funkst du mich an. Kennst ja das Morsealphabet.« – »Aber wohin soll ich funken, du bist doch weit weg.« – »Nur so eine Redensart. In drei Monaten bin ich wohl zurück. Hier, tu das in dein Sparschwein. Jetzt nimm schon.« – »Danke, Mo.« – »Nicht der Rede wert. Ahoi, du Leichtmatrose.«
    Jasper repariert den Boiler und sagt zu Eva: »Komm, komm.« Der Pfarrer klemmt seine Hände zwischen die Knie und redet leise auf Eva ein. Es gibt Menschen, die können gleichzeitig rauchen und weinen. Eva schlägt nun doch einen Nagel in die Wand und hängt einen Heiligen mit Blattgoldschimmer daran. Siegmar nimmt Werkzeug aus der Garage mit. Eva fragt, was das soll. Einmal kommt Anita, und sie sitzen in der Küche, bis die Kerzen runtergebrannt und die Weinflaschen voll Wachs sind.
    Eva geht zum Verhör und hat danach keine Worte. »Ich will dir den Kummer ersparen«, sagt sie so leise, dass er die Ohren spitzen muss. Den einen Tag fegt sie die Spinnweben und die Ganker von der Decke, den anderen fällt sie ihr auf den Kopf, die Decke, und sie muss irgendwohin gehen.
    Weil das Haus Geräusche macht, wacht er mitten in der Nacht auf. Evas Bett ist kalt, Leos auch. Mit einer Zwanzig-Pfennig-Münze in der Schlafanzugtasche geht er im Regen zur Telefonzelle. Im Dunkeln latscht er dauernd auf die Grenze, wen kümmert’s. »Hallo, hier ist Jakob, ist Eva bei euch?« – »Ja, ich bin allein.« – »Nein, ich hab keine Angst, wollte nur mal fragen.« – »Ja, sie wird schon bald zurück sein.« In der Telefonzelle hängt ein neuer Zettel: Ein entlaufener Kater wird vermisst. Odin ist eine europäische Kurzhaarkatze mit braun-schwarz getigertem Fell. Bauch und Pfoten sind weiß, die Augen hellbraun.
    Das Fernsehballett zeigt Bein, mit seinem Dioptrienblick versucht Schnitzler ihn zu hypnotisieren, der Sendeschluss ist ein Dauerton, den er irgendwann überhört wie die Geräusche im Haus. Manchmal ist die Nase spitzer als die Ohren: Es riecht nach Regen, Eva ist zurück. »Wir müssen uns an Bergs halten«, sagt sie und legt den Knirps in die Spüle. »Beide waren sie eingesperrt und sind hierher wiedereingegliedert worden. Jetzt sitzt er erneut ein, und sie trägt die ganze Sorge, ohne sich beugen zu lassen. Die üble Nachrede, und der Mann im Gefängnis. Eine bewundernswerte Frau. Warst du einkaufen?« – »Leo war dran, nicht ich.« – »Wo ist Leonore?« – »Weiß ich doch nicht.« – »Wie«, sagt Eva und lässt sich auf einen Stuhl fallen, »soll ich denn zurechtkommen, wenn ihr nicht mal die wenigen Aufgaben erfüllt, die ich euch auftrage.« – »Mich brauchst du nicht zu schimpfen, ich war nicht an der Reihe.« – »Jakob, wir haben jetzt eine wirklich schwierige Zeit. Dein Vater hat uns mit all dem alleingelassen, und ich muss so viele Probleme tragen, mit denen ich dich gar nicht belasten will, aber wenn du mir nicht mal das Wenige abnehmen kannst, um das ich dich bitte.« – »Ich. War. Nicht. Dran!« – »Schon gut, ich weiß, es ist auch für dich sehr belastend. Du hast dir das genauso wenig ausgesucht wie ich. Hast du was gegessen?« – »War ja nichts da.« – »Soll ich dir ein Ei braten?« – »Eier sind aus.« – »Wie spät ist es überhaupt?« – »Nach Sendeschluss.« – »Hat Leonore gesagt, wo sie hingeht?« – »Ich. Weiß. Es. Nicht!« – »Dann leg dich bitte schlafen, morgen ist ja wieder Schule.« Zum Einschlafen wäre Watte nützlich, bei all dem Geschrei. Denn jetzt sind alle wieder da, die noch da sind.
    Wer hat das gemacht? Wer hat allen Würdenträgern ein Hitlerbärtchen verpasst? Mit schwarzem Folienstift? Dem Erich Honecker? Dem Willi Stoph? Dem Wilhelm Pieck? Dem Ernst Thälmann, der armen Clara Zetkin und sogar dem Karl Marx und dem Friedrich Engels, die doch ausreichend Bart besitzen, weiß und wehend, und die mit so einer dunklen Scharte auf der Oberlippe überhaupt nichts anzufangen wissen? Man muss sagen, dem Willi Stoph, der sonst immer

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