Das halbe Haus: Roman (German Edition)
und Deine Sache vortragen. Liesl läßt schön grüßen und sagt, Du sollst auch Kontakt zur Ständ. Vertretung in Berlin wegen Deiner Sache aufnehmen, sicher wissen die einen Rat. Hast Du etwas von Abtlg. Inneres gehört? Ich hoffe, die Geschenke machen Euch ein bissel Freude. Den einen Tag waren wir in Burgkreuz, das ist die nächstgrößere Stadt. Die Menschen strömen in die Warenhäuser und können sich kaufen, was das Herz begehrt. Wenn nur nicht alles so teuer wär. Sobald ich die Rente erhalte, kann ich Euch noch mehr Wünsche erfüllen. Die Liesl hat mir einen Vorschuß gegeben (vom FJ Strauß kam ein Brief mit Geld). Im Januar soll alles geregelt sein. Noch vorher treffe ich einen Wirt, der eine Wohnung in der Prinzregentenstraße oben im 12. Stock zu vermieten hat. Vor dem Hertie in Burgkreuz spielte ein Mann Schifferklavier, da ist mir arg blümerant geworden. Jetzt muß ich Schluß machen, weil wir noch auf den Weihnachtsmarkt wollen. Dort gibt es eine Lichtertanne, die ist höher als unser Haus, also das Euere. Auch nach Nürnberg will uns Liesls Bekannter noch fahren, zum Christkindlmarkt. Jakob, wenn Du mir bald schreiben möchtest, das würde mich doch sehr freuen. Frank, die Kokosmilch ist für Jasper, er wird drüber lachen, die Nascherei ist für Cora. Die Cigarillos sind für Moritz, und das andere, na ja, das könnt ihr reihum wandern lassen. Vergeßt nicht, mit Theo zum Tierarzt zu gehen und die Gräber abzudecken. Die Leute reden wohl.
Es küßt und grüßt Euch
Eure Mutter und Omi
Es ist das erste Mal, dass Jakob einen Brief von seiner Großmutter in Händen hält. Sonst hat nur er ihr geschrieben, aus dem Trainings- oder Ferienlager, immer an den letzten Tagen, damit ihm ihre Klage, er habe keinen Gruß an sie gerichtet, erspart blieb. Er legt den Brief weg. Der Vater und er verlieren kein Wort darüber. Sie bescheren sich gegenseitig. Jakob schenkt dem Vater fünf Federbälle (Hühnerfedern in Sektkorken): Bastel- AG . Der Vater schenkt ihm einen Füller, ein Tintenfass und ein Notizheft: Schreibwaren Rathenow. Der Füller ist glänzend schwarz. Man muss die Tinte aufziehen, sie flutet eine durchsichtige Kammer in der Füllermitte. Das Heft hat kräftige blanke Seiten. »Greif zur Feder, Kumpel«, sagt der Vater. »Schreib mal wieder eine Geschichte.«
»Greif selber zur Feder«, sagt Jakob und wirft ihm einen gefiederten Ball hin.
Sie heben die Sessel auf den Couchtisch und spielen Federball. Die Kufen der Schlittschuhe schneiden in den Teppich. Manchmal trudelt der Ball in das Engelshaar. Der Kater tatzt danach und hat die juckenden Fasern an der Pfote, an der Schnauze. Er putzt sich in einem fort, doch wenn ein neuer Ball im Netz landet, tatzt er wieder. Der Vater und Jakob lachen und müssen sich selber kratzen. Sie trinken Fassbrause und Mixerli, der Vater setzt immer wieder sein Glas an. Sie spielen und zählen. Einmal schaffen sie siebenundsiebzig Ballwechsel, aus heiterem Himmel. Der Ball geht hin, der Ball geht her, geht hin, geht her. Sie juchzen. Jakob wünscht sich, dass der Ball nie zu Boden fällt, dann fällt er. So viele Ballwechsel schaffen sie nie wieder. Ab und zu knickt Jakob ein, und der Vater schlägt immer wieder gegen die Decke und zweimal in den Baum. Die Spitze sitzt schief, der ganze Baum sitzt irgendwie schief. Nadeln und Federteile liegen auf dem Teppich, der wegen des guten Hohlschliffs regelrecht zerschnitten ist. Die Sessel kauern auf dem Couchtisch, der Kater putzt sich, Jakob und der Vater lachen.
Das Lachen erschöpft sie. Sie sind groggy. Sie brauchen etwas Ruhe und sehen fern. Sie setzen sich vor dem Ofen auf den Boden und lehnen ihre Rücken gegen die warmen Kacheln. Der Vater kippt seinen Kopf nach hinten. Er guckt gar nicht hin, als im Fernsehen bärtige Männer in Kutten erscheinen. Die laufen durch die Wüste, einer immer vorneweg. Wenn der anhält, halten alle anderen auch. Der Anführer legt einem Krüppel die Hand auf den Kopf. Dann schneit es auf einmal in der Wüste. Jakob stößt den Vater an. Der sieht sich das Geschneie an und sagt, er müsse aufs Dach, die Antenne richten. Er rappelt sich hoch, nimmt sein Glas und poltert die Treppe rauf.
Im Fernsehen hört es auf zu schneien, der Handaufleger steht jetzt einem Mann mit Lendenschurz gegenüber. Würde er dem die Hand auflegen, zwei Hörner würde er fühlen, denn der Mann ist der Teufel. Aber er sieht den Teufel bloß an und hebt abwehrend die Hand. Es rumpelt, der Vater ruft
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