Das halbe Haus: Roman (German Edition)
Couchtisch gewischt. Dann hat sie ausgepackt, dann im Keller unter dem Waschzuber Feuer gemacht. Bis das Wasser heiß war, hat sie Kartoffeln geschält und aufgesetzt, dann Wäsche gewaschen. Dann Kartoffelsalat zubereitet, dann die Wäsche aufgehängt. Der Vater kam zum Essen aus der Garage. Während sie zu Tisch saßen, klagte der Kater der verschlossenen Tür sein Leid. »Schmeckt es dir nicht?«, fragte sie den Vater, der seine Selters nicht anrührte. »Doch«, sagte er. Sie lächelte still.
Am Abend kamen Cora, Jasper, Mo und irgendeine Frau. Mo fragte ihn, wie es mit der Uhr gehe. »Astrein«, sagte er. Almuts Lider klappten grün zu. Beim Bleigießen wollte sie immer einen Storch sehen, aber es war doch nur eine Stehlampe, da waren sich alle einig. Noch vor Mitternacht ging er zu Bett. Er wusste, dass sie nun das Heft von der Anrichte nehmen und eifrig studieren würden. Dem Lachen nach zu urteilen, kapierten sie auch die unkomischen Witze. Als die Raketen vor seinem Fenster in die Höhe pfiffen, kam sein Vater und setzte sich auf die Kante seines Bettes. Er stellte sich schlafend. Atmete ruhig. Er roch seinen Vater. Rauch, Holz, Schnaps, Winter. Mit dem Handrücken strich er ihm über die Wange, die bald glühen würde, fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar. Draußen heulte und sprühte das neue Jahr, keiner wusste, was es bringen würde. Noch ein ganzes Weilchen blieb sein Vater bei ihm sitzen.
Am Neujahrsmorgen machte er sich auf den Weg. Noch in der Nacht musste Almut die Küche aufgeräumt haben, nicht ein einziger Konfettischnipsel lag herum. Die Katze strich um seine Beine, er schüttete den Rest des Trockenfutters auf den Boden. Bald würde sie eine neue Lieferung bekommen, mausförmig, er würde sich darum kümmern. Aus dem Kühlschrank holte er Proviant, den er in Vaters Wanderrucksack verstaute. Er wollte nicht noch einmal stundenlang ohne Essen und Trinken auskommen müssen. Er packte seinen Schulatlas dazu, sein neues Notizheft, in dem bereits sieben Seiten beschrieben waren, seinen Füller, sein Tintenfass, das Opernglas von Oma Erna und das Fotoalbum, das jetzt ihm gehörte. Er überlegte, ein paar seiner Medaillen und Urkunden und die Wimpelchen mit der Aufschrift »Schulmeister« mitzunehmen. Wenigstens die Urkunde mit der Unterschrift des Obermuftis? Er ließ es bleiben. Auch die Schlittschuhe würde er hierlassen. Stattdessen schob er einen Stuhl vor die Anrichte, kletterte hinauf und tastete mit langem Arm das Dach des Schranks ab. Er fand das Heft und packte es ein. Dann nahm er das Geld aus allen Portemonnaies, die er finden konnte. Nur Mos Geld rührte er nicht an. Jetzt fehlte ihm nur noch einer, der sich auskannte. Das war Falk.
Am ersten Schultag hatte Falk vor ihm gestanden, einen Kopf kleiner und eine Million Sommersprossen reicher. Er hatte auf den Boden gedeutet und gesagt: »Da unten liegt ein Zahn.« – »Igitt, lass ihn liegen«, hatte Jakob gesagt. – »Aber es ist mein Zahn«, hatte Falk erwidert. – »Dann heb ihn auf und tu ihn an einen sicheren Ort.« Er selbst bewahrte seine Milchzähne in der vorletzten Matrjoschka auf. – »Mein erster Zahn«, hatte Falk erklärt und zum Beweis die dunkle Lücke oben rechts vorgezeigt. »Doch ich zischel kein bisschen.« – In Jakobs Ohren hatte Falk tatsächlich kein bisschen gezischelt. Sondern gewaltig: Iß fißel kein bifßen. – »Wollen wir nebeneinandersitzen?«, fragte er den strohblonden Jungen, weil er ganz genau wusste, dass er ihn gernhaben würde. – »Sowieso«, sagte Falk, mächtig gezischelt.
Jakob klingelte dreimal kurz und einmal lang. Auf dem Klingelschild stand »Dr. habil. Ulmen«. Falks Vater reiste zu Kongressen nach Uppsala und Bielefeld, er gehörte mehreren Akademien an, und einmal hatte ein Range Rover vor dem Haus geparkt, der ein gelbes Nummernschild und das Lenkrad auf der falschen Seite hatte. Falks Mutter unterrichtete an einer Erweiterten Oberschule, sie war eine Dunkelrote in Weststrumpfhosen, wie Jakobs Vater sagte. Falks Schwester war verrückt und kam nur an den Wochenenden nach Hause. Zweimal im Jahr beherbergten die Ulmens Messeonkel aus dem Ruhrgebiet. Sie hatten keinen Grund, in den Westen zu wollen, der Westen kam zu ihnen. Sie lasen Zeitungen und Bücher von drüben, kopfschüttelnd und stirnrunzelnd. Auf ihrem »Abort« – so stand es auf dem Emaille-Schild an der Klotür – gab es ein schmales Regal mit Insel-Bänden und Magazin-Heften. Die Po-Parade und die
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