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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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SCHUHMANN, Joachim-Rainer, genannt Jasper, der ihn in seinen Ansichten bestärkte. Die anwesende Ehefrau des SCHUHMANN sowie der Gen. KLEEBERG, Gerd-Moritz, genannt Mo, ebenfalls ein Freund des FRIEDRICH, äußerten sich dagegen im Sinn unserer Gesellschaft und versuchten, mäßigend und positiv auf den FRIEDRICH einzuwirken. Der andere Bruder des FRIEDRICH, der halbseitig gelähmte FRIEDRICH, Rudolf, beteiligte sich nicht am Gespräch. Auch die WINTER griff nicht ein. Wie man weiß, hat der FRIEDRICH häufig wechselnde weibliche Bekanntschaften. Seine neue Freundin, dem Vernehmen nach Schuhverkäuferin, heißt ALMUT, Nachname unbekannt. Sie äußerte sich weder im Sinn unserer Gesellschaft noch im Sinn des feindlich-negativen Standpunktes des FRIEDRICH. Ihre Kleidung ist westlich-modisch, an jedem Finger trägt sie einen Ring, und mit der Schminke hält sie sich nicht zurück. Nach dem Essen wurden von dem FRIEDRICH Lieder gesungen, dabei handelte es sich sowohl um kommunistisches Liedgut als auch um Liedgut, das politisch neutral ist, von dem FRIEDRICH aber durchaus in politischer Absicht vorgetragen wurde. Zu nennen ist das Seemannslied „La Paloma“. Die musikalischen Fähigkeiten des FRIEDRICH sind keine geringen. Dem Alkohol, ausschließlich Wodka aus einheimischer Produktion, wurde die ganze Zeit über ohne Hemmung zugesprochen. Er löste die Zungen, und so kam nach dem Musizieren zutage, daß der FRIEDRICH offenbar vor kurzem mit seinem Sohn, dem FRIEDRICH, Jakob, an die Staatsgrenze zur BRD vorgedrungen war. Wo genau und wann genau das passierte, ist unbekannt. Es ist zu vermuten, daß der FRIEDRICH Fluchtabsichten hegte, aber das Gespräch nahm bald wieder eine andere Wendung. Nach und nach machte sich eine gewisse Resignation breit, die auch der Alkohol nicht zu beheben vermochte. Allmählich wurde man müde, und so endete die Feier. Erneut wies die WINTER Hilfe bei der Küchenarbeit zurück. Der FRIEDRICH, Rudolf und seine Ehefrau Edelgard verließen das Haus gegen 23   Uhr   45, alle anderen Gäste nächtigten dort, einschließlich mir. Ich verließ das Haus am darauf folgenden Morgen gegen 9   Uhr   30, um in Begleitung aller zuvor Genannten und auch der drei Enkelkinder die WINTER auf dem Bahnhof zu verabschieden. Ihr Hab und Gut fand in drei Koffern Platz. Da es ein Montag war, blieben die Erwachsenen und die Kinder von der Arbeit und der Schule fern. Um keinen Verdacht zu erregen, mußte auch ich blaumachen, wie man so sagt. Trotz der bedauerlichen Umstände waren alle recht gefaßt, auch die WINTER selbst. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie unserem Land nicht ungern den Rücken kehrte. Nur der FRIEDRICH verlor die Beherrschung und brach in Tränen aus. Als der Zug mit der WINTER losfuhr, rannte er bis zum Ende des Bahnsteigs daneben her. Gegen 10   Uhr   45 verließen die Anwesenden den Bahnhof in südliche Richtung, um in der HO-Gaststätte „Puschkin“ Windbeutel in gedrückter Stimmung zu verspeisen.
     
    gez. S E E L E
     
    F.d.R.d.A.:
     
    Altwasser
    (Hauptmann)
     
    Vorliegender Bericht ist nicht überprüft. Der IM gilt als ehrliche und zuverlässige Quelle. Bericht ist auswertbar.
    Dringender Verdacht auf Begehung von Straftaten gemäß §   213 STGB . Erwägung der Eröffnung eines OV . Veranlassung einer Jahresendprämie für IM über 50,– Mark sowie Karten für Fledermaus-Aufführung in Kongreßhalle.
     
    Fender
    (Oberstleutnant)

7. Der Kannibale und die Königin
    Sie schnarcht. Es ist das erste Mal, dass er sie schnarchen hört. Eigentlich hat sie eine dünne Stimme, ihm ist völlig schleierhaft, wo sie diese Töne herholt, aus welchem Verlies. Dieses Knattergrollen, das nur für ein Schnappen, für ein Kauen unterbrochen wird, bevor es gurgelnd wieder anspringt. Am Gaumen springt es an, dann wächst es und greift tiefer in ihren Rachen, bis sie sich daran verschluckt, worauf sie schnappt oder kaut oder schmatzt und das Ganze von vorn anfängt. Ab und zu wischt ein Auto vorbei, das blasse Morgenlicht reicht nicht einmal bis in die Ecken seines Zimmers. In seinem Zimmer ist alles versammelt, was ihm früher Spaß gemacht hat: die Bücher, die Platten, die Spirituosen, die Instrumente. Da sind die Russen, da die Amis, da die Franzosen und da die Deutschen – Mann, Zweig, Fallada. Im Dämmer ist das Gold auf den Buchrücken kaum zu sehen, aber es ist da. Bei Hemingway hat er gelesen, dass es immer erfreulich sei, in Paris über eine Brücke zu gehen,

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