Das halbe Haus: Roman (German Edition)
Wegwischding! Er ist nicht in seiner Mitte, er trinkt zu viel, er hat sich eine Frau ins Haus geholt, und die Frau schnarcht. Doch es ist vorbei, er fühlt’s. It’s all over now, Baby Blue. Er ist nicht gut im Schlussmachen. Lieber macht er sich selbst so lange madig, bis die Frauen keine Lust mehr haben und mit ihm Schluss machen. Wie oft hat er gesagt, er wisse selbst nicht, was mit ihm los sei, er könne sich selbst nicht leiden. Dabei war es doch so, dass er die Frau plötzlich nicht mehr leiden konnte. Diesmal würde er es anders machen, wie ein Kerl. Er ist doch ein Kerl. The carpet, too, is moving under you, and it’s all over now, Baby Blue. Carpet heißt Teppich, so war’s doch, aber carpenter heißt was anderes. Was heißt carpenter? If I were a carpenter, and you were a lady. Johnny Cash und June Carter, ein Herz und eine Seele, so muss es sein mit einer Frau. Wo sind die June Carters? Gibt’s die nicht in diesem öden Land? No ladies? Er könnte kotzen, dass sie ihn mit Russisch traktiert haben, zwölf lange Jahre, und er kann gerade mal sagen, dass Nina einen Traktor fährt. Wer braucht das denn, außerdem kennt er keine Nina. Er kannte mal eine Galina, aber die konnte Deutsch, wenn man so will. Russisch ist für den Arsch, Englisch, das wär’s. Die ganze jüngere Musikgeschichte ist ohne Englisch nicht zu verstehen. Er hat sich ja bemüht, hat Vokabeln gepaukt, das Dylan-Songbook zu einem Viertel übersetzt. Nicht jede Zeile ergibt Sinn, im Gegenteil, die sinnvollen Zeilen sind in der Unterzahl. Carpenter: Er muss das nachschlagen. Er bräuchte mal jemanden, der sich damit auskennt. Warum gerät er immer nur an die Weiber, die schnarchen und den »Kleinen Prinzen« lesen? Oder geraten diese Weiber immer an ihn? Wie dem auch sei, er bräuchte mal eine, die Englisch kann, von der er was lernen könnte. Dann wäre sie die Lady und er der Teppichverkäufer. Das nämlich ist die Übersetzung von carpenter. Ganz so mies ist sein Englisch doch gar nicht. Als gestern nach den Büttenreden Musik gespielt wurde, haben sie sich nicht um die Vorgabe geschert. Die Vorgabe besagt, dass auf vier internationale Songs sechs hiesige zu laufen haben. Doch als der sogenannte Plattenunterhalter übernahm, hat er schnell ein paar Ostnummern runtergerissen – Puhdys, »Geh zu ihr«, Karat, »Über sieben Brücken« –, um dann Westmucke zu spielen. Aber was für welche, dagegen war der Ostrock pures Gold: »Sun of Jamaica«, »Xanadu«, »In the Air Tonight« (In der Luft heut Nacht). Alles zu schwofig, zu klebrig, so wie die Damengetränke Grüne Wiese oder Blauer Engel oder die berüchtigte Faschingsbowle mit den Südfrüchten des Ostens: Stachelbeeren. Die Lichtorgel funkelte, die Diskokugel blitzte, die Papierschlangen rollten und ringelten sich, von den Lampen und den Hälsen, um die Fuß- und Handgelenke, Qualm und Schweiß vertrieben das Deodorant. Wohl dem, der schon vom Schnaps milde gestimmt war, als der westdeutsche Schwachsinn kam: »Santa Maria«, »Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehn« und die schwarzbraune Haselnuss. Das konnten auch viel zu viele mitsingen, obwohl Heino verboten war, der revanchistische Schlagerinterpret Heino. Aber so ist es ja immer: Verbiete was, und die Leute sind gierig darauf. Siehe Prohibition, siehe das Kleid. »Wieso hast du Frauenklamotten in deinem Schrank?«, hat sie gefragt, den Kleidersack in der Hand. Ein Hauch von Kampfer lag in der Luft. Er hat geschwiegen, und da hat sie es kapiert. Eine halbe Stunde später hat sie gefragt, ob sie das Brokatkleid anprobieren dürfe. – »Nein«, hat er gesagt. »Nur anprobieren.« – »Nein.« Das Brokatkleid war vorn geschlossen und hinten offen, beim Maiball vor fast dreizehn Jahren hatte er nicht gewusst, wohin mit seiner Hand, obwohl die Hand bereits die Landschaft ihres Rückens kannte, das Tal und den Grat. Ihren Bauch spürte er an seiner Leiste. Nach Friederikes Tod hatte seine Mutter alle Kleider gewaschen, geplättet und verstaut. Sie war eine geübte Witwe, in jeden Sack hatte sie ein Päckchen Mottentod gelegt, so steckte der Tod zu Lebzeiten und darüber hinaus in den Kleidern seiner Frau. Bei den Todesanzeigen wollte er eine gute Figur abgeben, gut dastehen, redlich und großzügig trauern. Groß die Anzeigen, groß der Grabstein, golden die Inschrift. Er hatte der Welt zeigen wollen, wie enorm sein Verlust war, er hat einen Trauernden gegeben und sich für das Falsche daran gehasst. Die echte
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