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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Trauer blieb nicht aus. Es war keine Trauer im eigentlichen Sinn, er war plötzlich geschlagen mit Einsamkeit. Mit einem Mal wusste er – im Auto sitzend, die Wischer beseitigten den Regen –, dass er nie wieder Schluckauf bekommen würde, weil der einzige Mensch, der an ihn gedacht hatte und je an ihn denken würde, nun einfach fortgegangen war. Er hat sich in die Müdigkeit und in den Schlaf gesoffen, ein paar Jahre lang. Seine Mutter hat den Jungen gehütet. Als er sicher sein konnte, dass das Vergessen hielt, hat er aufgehört zu saufen. Das Vergessen hielt nicht immer. Einmal entdeckte er eine Bürste, in der noch ihre Haare waren. Und manchmal sickerte etwas durch, wenn der Junge nach seiner Mutter fragte. Er wiegelte dann ab, sagte etwas Heiteres, etwas Leichtes, aber in Wahrheit standen ihm die Einsamkeit und das Grauen wieder vor Augen. Als der Junge den Ring fand und fragte, an welchem Finger die Mutter ihn getragen habe, da war es auch so. Ihr Gesicht war vergessen, der Raum, den sie eingenommen hatte, war leer. Doch dann erscheint sie ihm: Sie liegt im Quecksilber und sagt, sie gibt ihn jetzt frei. Obwohl sie es ist, die den Ehering abgezogen hat, weil er viel zu groß geworden ist. Das hat sie ihm erklärt: Der Ring sei viel zu groß geworden, sie müsse ihn abziehen. Sie will nicht sagen, dass sie zu dünn geworden ist, verschwindend dünn, sie will das nicht auf sich nehmen und beschuldigt den Ring. Wenn ihm das im Kopf sitzt, mir nichts, dir nichts, denkt er zuerst ans Saufen. Er möchte dann sofort saufen, sich die Bilder aus dem Kopf wischen. Das Zweite, was er denkt, ist: Nie wieder wird eine Frau zu mir sagen, si e gibt mich frei. Denn das würde ja bedeuten, dass sie mich zuvor in Besitz genommen hat. Also werde ich mich mit allen Kräften dagegen wehren, dass mich je eine in Besitz nimmt. Und trotzdem sehnt er sich nach der einen, von der er sich ergreifen lassen kann. Vielleicht rührt daher sein ganzes Elend: dass er zwei Sachen will, die nicht zusammengehen. – Mein Gott, wo kommen bloß diese Gedanken her. Weg, fort, er will doch nicht im Gestern leben, auch nicht im Heute, sondern im Morgen. Er will seine Gedanken wandern lassen, westwärts, dahin, wo keiner grübelt, wo immer was los ist, wo man permanent on the road ist, wo man über Brücken geht, wo man nicht festsitzt. Doch seine Gedanken kommen nicht in Tritt. Er hat Kopfschmerzen, er müsste was dagegen nehmen, vielleicht einen Klaren, eine Bloody Mary. So macht man das doch: den Liebeskummer mit einer Frau bekämpfen, den Kater mit Schnaps. Andererseits muss er sagen, dass es auch ein gutes Gestern gibt, eine Vergangenheit, der er gar nicht ausweichen muss. Die Erinnerung weiß von Glück. Überraschend jedoch ist, dass es sich um ein Glück handelt, das er nachholen kann, das er nachträglich erteilt. Und zwar sich. Wenn er Jakob über den Kopf streicht, dann ist er es selbst, dem diese Zärtlichkeit zugutekommt. Er versteht es nicht so recht, aber wenn er liebevoll zu Jakob ist, dann ist er auch liebevoll zu dem Kind, das er selbst einmal war. Seine Mutter hat das bei ihm viel zu selten getan. Er möchte denken: nie. Aber hin und wieder wird sie es schon getan haben. Es fühlt sich nur an wie: nie. Bei Jakob kann er wiedergutmachen, was seine Mutter bei ihm versäumt hat. Er streicht ihm über den Kopf, und zusammen mit Jakob wächst er noch einmal heran. Nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit liegt in unseren Händen. Deshalb kann er alles auch zum Schlechten drehen. Wenn er es jetzt vermasselt, wenn er den Eigensinn, die Gier, die Kälte und die Wut ganz einlässt, dann sind Jakobs Kindheit und seine eigene verdorben. Das war es doch, was der Pfaffe meinte, als er ihn über den Gartenzaun hinweg ansprach. Ganz harmlos fing er an. Ob Jakob nicht zur Christenlehre kommen möge, fragte er. Ob er nicht konfirmiert werden wolle. Er gehe ja mit seiner Tochter Kerstin in eine Klasse, sie erzähle hier und da von ihrem Klassenkameraden. Man fahre demnächst auch zur Rüstzeit, ins Vogtland. – »Euer Verein ist mir genauso suspekt wie alle Vereine«, hat er geantwortet, erschrocken über seine Schroffheit. Er stand da mit zwei Eimern in der Hand, der Kohlenhaufen vor dem Haus wollte nicht kleiner werden, er stand hinterm Zaun. Dem Pfaffen ist das Lächeln nur kurz verrutscht, dann hat er gefragt, ob er mit anpacken solle. Nicht quatschen, nur helfen. Er hat dann doch gequatscht, während sie die Briketts in die

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