Das halbe Haus: Roman (German Edition)
Kellerluke hinterm Haus geschüttet haben, Eimer für Eimer. Der Frieden fange ja beim Einzelnen an, sagte der Pfaffe und schippte seine Behälter voll, obwohl er so ein Hänfling ist. Er selbst habe sich zum Frieden ermahnen müssen, vor allem nach der Manöversache. Rumpelnd stürzten die zerbrochenen Briketts der Marke Rekord in den Eimer, nie silbentreu getrennt, schwarzer Staub mit glänzenden Splittern, dieselbe Struktur wie Diamanten: Kohlenstoff, im Periodensystem C 6. Es sei ja nicht zu übersehen, dass er, der Herr Friedrich, frustriert sei, dass er geladen sei. Wie so viele in diesem Land. Da sei auch etliches, was Anlass zum Groll biete: die Bevormundung, die Militarisierung aller Bereiche, der Mangel an so manchem, nicht zuletzt Freiheit, nicht zuletzt Frieden. Und dennoch, ob er nicht doch das Gefühl habe, dass langsam eine Besserung eintrete? – »Nein«, sagte er, »im Gegenteil. Es wird immer schlimmer.« Aber das hinderte den Pfaffen nicht daran weiterzusprechen. Er solle zum Beispiel an die Reiseerleichterungen denken und daran, dass sich immer mehr Menschen zusammenfänden, um Alternativen zu diskutieren, im Umfeld der Kirche. Auch er lasse seine Tochter künftig nicht mehr an Zivilschutzübungen oder Aufmärschen teilnehmen. Das gehe schon, wenn man den richtigen Ton finde, wenn man seinen Standpunkt gelassen darlege. Die Kirche biete da eben auch einen gewissen Schutz. Um Jakobs willen würde er gern darüber sprechen, ob es für sie, die Friedrichs, keine bessere Lösung gebe. Alle würden über den Vorfall kürzlich in der Schule reden, das schade doch vor allem dem Jungen. Der müsse doch mit der Lehrerin klarkommen, mit allen Lehrern. Es lohne sich, darüber nachzudenken, ob Konfrontation das einzige Mittel sei. Ein konstruktiver Umgang mit der eigenen Aggression könne auch auf die Gesellschaft wirken. Man mache es denen nur leicht, wenn man sie attackiere, man selbst verrohe dabei. Doch wenn man sie in die Pflicht nehme durch tätige Friedfertigkeit, dann müssten sie sich stellen. Die Bereitschaft, zuzuhören und zu verstehen, würde sehr wahrscheinlich zunehmen, auch bei denen. »Wir müssen sie ändern, indem wir uns ändern«, sagte er. »Wir müssen die Sprache des Friedens sprechen.« Er stellte die leeren Eimer ab, seine Hände waren schwarz, und auch sein Gesicht zeigte Spuren von Ruß. Er war ein bartloser Mann, der mit seinen bartlosen Ansichten einfach auf ihn zugetreten war. Mit seiner Drahtbrille und seinem schiefen Pony stellte er die Karikatur eines Christen dar, irgendwie weiblich oder unmännlich, weich, obwohl er genauso viel geschleppt und dabei ohne Unterlass geredet hatte. Gleichzeitig waren da die wachen Augen, das feine Spiel um den Mund und die klare Rede. Der Pfaffe rührte an etwas. Womöglich könnte er zur Ruhe kommen, könnte sich fügen, ohne allzu unglücklich zu sein, könnte Teil eines Ganzen und dennoch er selbst sein. Womöglich könnte er hier leben, mit dem Jungen, mit einer Frau. Er könnte musizieren, könnte vor Freunden auftreten, er könnte arbeiten, er könnte noch ein Kind bekommen, eine Tochter. Es würde ihn versöhnen mit dem Weiblichen, mit der Welt, vielleicht. Aber könnte er über seinen Schatten springen? Man muss doch begreifen, dass ein Einzelner nur die Kontur für den Schatten liefert, das Licht kommt woanders her. »Amen und danke für die tätige Hilfe«, sagte er, und etwas in seinem Innern, das für einen Moment geweitet und offen gewesen war, zog sich zusammen. – »Wir sind doch nur Menschen«, erwiderte der Pfaffe, »wenn wir unsere Gefängnisse verlassen und zu den anderen treten. Denken Sie darüber nach. Ich würde mich freuen, wenn Jakob und Sie uns einmal besuchen kämen.« Denken, das ist mühsam. Seine Gedanken verwildern, er spürt es, er bräuchte mal jemanden, der ihm beim Denken hilft, bei dem er sein Herz ausschütten kann. Könnte er dem Pfaffen sein Herz ausschütten? Aber bevor man es ausschütten kann, so ein Herz, muss es erst mal voll sein. Es fühlt sich manchmal so an, als sei seins leer oder zu eng. Er bräuchte zuerst einmal jemanden, der ihm das Herz füllt und dehnt und der ihm dann beim Denken hilft, aber er gerät ja immer an die Weiber, die den »Kleinen Prinzen« lesen und obendrein schnarchen. Oder geraten die dummen Weiber immer an ihn? Herrgott, er hat das Gefühl, sich im Kreis zu drehen, auf einmal ist ihm ganz schwindlig. Er sollte sich jetzt wirklich mal eine Spalt oder besser zwei
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