Das Halsband der Königin
scheint, Sie spielen hier den Puritaner. In Amerika, bei Herrn de La Fayette, mag das ja hingehen, aber hier sind wir Franzosen und in Versailles.«
»Majestät beleidigen Herrn de Taverney«, rief Andrée blaß vor Zorn. »Wenn mein Bruder sagt, daß er etwas gesehen hat, so hat er es gesehen.«
»Sie auch, Andrée? Es fehlte nur noch, daß auch Sie mich gesehen hätten! Mein Gott, wollen nun auch meine Freunde mir ans Leben?«
»Mir fällt eben ein«, bemerkte der Graf d’Artois, »nachdem ich erkannt hatte, daß der blaue Domino nicht der König war, meinte ich, es wäre der Neffe des Herrn de Suffren. Sie hatten den tapferen Offi zier unlängst ausgezeichnet, und so nahm ich an, Sie hätten ihn für den Abend zum Kavalier erwählt. Wie war gleich sein Name?«
Marie-Antoinette errötete; Andrée wurde totenbleich. Beide blickten sich an und erbebten, einander so zu sehen.
»Herr de Charny«, murmelte Philippe, der fahl geworden war.
»Charny, richtig«, sagte d’Artois, »doch dann sah ich, daß ich mich getäuscht hatte; Herr de Charny befand sich im Kreis des Herrn de Richelieu, ganz in Ihrer Nähe, Schwägerin, als Ihre Maske fi el.«
»Und er hat mich auch gesehen?« schrie die Königin auf, alle Vorsicht vergessend.
»Wenn er nicht blind ist, gewiß.«
Die Königin läutete.
»Was tun Sie?« fragte der Prinz.
»Ich will auch Herrn de Charny befragen, den Kelch bis zur Neige leeren.«
»Ich glaube kaum, daß Herr de Charny in Versailles ist«, murmelte Philippe.
»Warum?«
»Man sagte mir, er sei … indisponiert.«
»Oh, die Sache ist zu ernst, er muß kommen«, sagte die Königin,
»ich bin auch indisponiert, und doch liefe ich auf bloßen Füßen bis ans Ende der Welt, um zu beweisen …«
Mit zerrissenem Herzen trat Philippe zu seiner Schwester, die aus dem Fenster starrte.
»Was gibt es?« fragte die Königin Andrée.
»Es hieß eben, Herr de Charny sei unpäßlich, aber ich sehe ihn dort im Garten.«
Eigenhändig riß die Königin das Fenster auf und rief: »Herr de Charny!«
Ein Alibi
Ein wenig blaß, doch aufrecht und ohne erkenntliche Beschwer-den trat Charny ein.
»Vorsicht, Schwägerin«, fl üsterte d’Artois, »mir scheint, Sie fragen zu viele Leute.«
»Ich werde die ganze Welt fragen, Schwager, bis ich den einen fi nde, der Ihnen beweist, daß Sie sich getäuscht haben.«
Unterdes hatte Charny Philippe gesehen und ihn höfl ich ge-grüßt.
»In Ihrem Zustand auszugehen ist der bare Selbstmord«, raunte ihm Philippe zu.
»Man stirbt nicht, wenn man im Bois de Boulogne sich an einem Dorn geritzt hat«, entgegnete Charny, erfreut, seinem Rivalen einen Stich zu geben, der mehr schmerzte als eine Degenwunde.
Die Königin setzte dem Schlagabtausch ein Ende, indem sie Charny ihrer Befragung unterzog.
Da er zögerte, unumwunden zu sagen, daß auch er sie gesehen hatte, bat sie ihn, zwischen Blässe und fi ebriger Röte wechselnd, um die genaue Wahrheit.
»Ich habe Ihre Majestät in dem Augenblick gesehen, als un-glücklicherweise die Maske der Königin niederglitt«, gestand er.
Marie-Antoinette zerdrückte mit nervösen Händen die Spitzen ihres Brusttuchs.
»Monsieur«, sagte sie mit einer Stimme, der ein einfühlsamer Beobachter unterdrücktes Schluchzen angehört hätte, »Monsieur, sehen Sie mich genau an, sind Sie wirklich sicher?«
»Madame, die Züge Ihrer Majestät sind in die Herzen all ihrer Untertanen tief eingegraben. Wer Ihre Majestät einmal gesehen hat, trägt Ihr Bild in sich.«
Philippe sah Andrée an, Andrée tauchte ihre Blicke in die Philippes. Beider Schmerz, beider Eifersucht schlossen ein schmerzliches Bündnis.
»Monsieur«, sagte die Königin, auf Charny zutretend, »ich versichere Ihnen, daß ich nicht auf dem Opernball war.«
Der junge Mann verneigte sich tief bis zur Erde.
»Steht es Ihrer Majestät nicht frei, dahin zu gehen, wohin zu gehen Ihnen beliebt? Und wäre es die Hölle, sie wäre durch den Schritt Ihrer Majestät gereinigt.«
»Ich bitte Sie nicht, mich zu entschuldigen, sondern mir zu glauben, daß ich nicht dort war«, sagte die Königin.
»Ich werde alles glauben, was Ihre Majestät mir zu glauben befi ehlt«, erwiderte Charny, bewegt bis an den Grund seines Herzens über diese Inständigkeit der Königin, diese ergreifende Demut einer so stolzen Frau.
»Schwägerin, das ist zuviel«, fl üsterte der Graf d’Artois ihr ins Ohr.
Alle Anwesenden waren zu Eis erstarrt, leidend in ihrer Liebe oder ihrer Eigenliebe und
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