Das Halsband der Königin
ent-weiht und von Tränen über Jahre hin zersetzt sind. Nein, was Fräulein de Taverney für Herrn de Charny empfand, war nicht Liebe. Energisch verwarf sie eine solche Vorstellung, weil sie sich geschworen hatte, niemanden auf der Welt mehr zu lieben.
Warum aber hatte sie so heftig gelitten, als Charny die wenigen Worte voller Respekt und Ergebenheit an die Königin gerichtet hatte? Gewiß, das war Eifersucht.
Ja, Andrée gestand sich ein, daß sie eifersüchtig war, jedoch nicht auf die Liebe, die der junge Mann einer anderen Frau als ihr entgegenbrachte, sondern eifersüchtig auf die Frau, die diese Liebe eingegeben, angenommen und gutgeheißen hatte.
Mit Trauer ließ sie an ihrem inneren Auge all die jungen Herren des Hofes vorüberziehen, die nach den ersten, förmlichen Huldigungen sich stets von ihr zurückgezogen hatten, weil sie sie nicht begriffen. Sie mißtrauten der Kälte einer jungen Frau, die schön, reich und Favoritin einer Königin war und einsam abseits blieb, wo alles dem Glück zustrebte.
Ein lebendiges Rätsel zu sein ist keine Verlockung. Andrée hatte es wohl bemerkt; sie hatte gesehen, wie man allmählich die Augen von ihrer Schönheit abwandte. Mehr noch, es war üblich geworden, Mademoiselle de Taverney ebensowenig ins Gespräch zu ziehen, wie man etwa die Latona oder Diana im Park zu Versailles angesprochen hätte. Wer Fräulein de Taverney seinen Gruß ent-boten hatte, wußte, er hatte seine Pfl icht getan.
All dies war dem wachen Blick des jungen Mädchens nicht entgangen. Sie, deren Herz alle Leiden ausgekostet hatte, ohne eine wahre Freude kennenzulernen, sie, die das Leben vorschreiten sah mit einem Trauergefolge bleicher Bedrängnisse und schwarzer Erinnerungen, seufzte in ihren schlafl osen Nächten, wenn sie die glücklich Liebenden von Versailles Revue passieren sah, voll tödlicher Bitterkeit:
»Und ich, mein Gott!, und ich?«
Als an jenem Abend der letzten großen Kälte Charny ihr begegnet war, als sie die Blicke des jungen Mannes neugierig auf sich hatte ruhen und ihre Gestalt hatte umhüllen sehen, fühlte sie, daß sie für diesen Mann eine Frau war. Er hatte die Jugend in ihr wiedererweckt; er hatte den Marmor der Diana und Latona zum Erröten gebracht, und jäh hatte ihr Gefühl an diesen Erneuerer ihrer Lebenskraft sich geheftet. Sie war glücklich, wenn sie ihn sehen konnte. Und es machte sie unglücklich zu denken, daß eine andere Frau die Flügel ihrer blauen Phantasien beschnei-den und ihren Traum vernichten könnte, kaum daß er dem goldenen Tor entschlüpft war.
So wird man begreifen, daß Andrée das Gemach der Königin nicht nach Philippe verließ, obwohl sie unter der Kränkung litt, die ihrem Bruder angetan worden, obwohl sie ihren Bruder mit einer Leidenschaft liebte, die fast eine Religion war. Doch gedachte sie, wegen der ungnädigen Verabschiedung ihres Bruders, sich an der Unterhaltung nicht mehr zu beteiligen. Sie nahm in einem Kaminwinkel Platz und kehrte den Anwesenden fast den Rücken.
Die Königin, auf dem Sofa sitzend, blieb einige Zeit schweig-sam. Charny, der zu leiden schien, stand ein wenig vorgeneigt, doch fi el seine Haltung der Königin nicht auf. Madame de La Motte hatte sich in eine Fensternische zurückgezogen, wo ihre falsche Schüchternheit Asyl und ihre wahre Neugier einen günstigen Beobachtungsort suchte.
Endlich brach Marie-Antoinette das Schweigen, das nach Been-digung der heiklen Ballaffäre eingetreten war.
»Wahrlich«, sagte sie, »es mangelt uns nicht an Feinden. Wer hät-te geglaubt, daß am französischen Hof derartige Scheußlichkeiten möglich sind? War das auszudenken?«
Charny antwortete nicht.
»Welches Glück muß es sein«, fuhr die Königin fort, »an Bord zu leben, unter freiem Himmel, auf offener See. Uns Landbewoh-nern erzählt man von den Tücken und dem Zorn des Meeres, und doch, Monsieur, sind Sie gesund heimgekehrt. Haben die Engländer Sie nicht mit ihren Kugeln, ihrem Kanonenfeuer verfolgt? Und dennoch, Sie sind heil geblieben und stark. Die Wut der Feinde hat nur bewirkt, daß Sie, der Sieger, von Ihrem König beglückwünscht, von Ihrem Volk geehrt und geliebt werden. Ach, gesegnet seien die Feinde, die uns mit Feuer und Eisen bekämpfen, gesegnet die Feinde, die nur mit dem Tode drohen!«
»Mein Gott«, antwortete Charny, »für Eure Majestät gibt es keine Feinde, nicht mehr, als Schlangen für den Adler. Was am Boden kriecht, kann den nicht kümmern, der über den Wolken
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