Das Halsband des Leoparden
geschossen, aus einem Hinterhalt wohl, von einem Baum oder einem kleinen Felsen. Das aber war vor fünfzehn oder zwanzig Jahren gewesen. Der zweite Schädel war noch älter. AnBeschädigungen zeigte er nur eine Messerspur. Wahrscheinlich war der Mann skalpiert worden, und der Täter hatte mit dem Messer zu stark aufgedrückt.
Hier auf den Gebirgspfaden lagen wahrscheinlich viele Menschenknochen, noch aus den Indianerzeiten.
Das Territorium, das früher den russischen Siedlern gehört hatte und von den Schwarzen Tüchern annektiert worden war, wimmelte von Hufspuren. Aber sie führten Fandorin nicht weit, nur bis zu den Felsen, wo der kahle Stein keine Hufabdrücke aufnahm. Um einer solchen Spur zu folgen, musste man über Fertigkeiten verfügen, die der Stadtmensch Fandorin nicht besaß.
Als er ins Dorf zurückkehrte, war es schon dunkel. Die Siedler standen dicht gedrängt und warteten, was der Fachmann ihnen zu sagen hatte.
Aber Fandorin erzählte nichts. Er hieß Masa, sich fertig zu machen, und stieg wortlos in den Sattel.
»Wo wollen Sie denn hin in der Nacht?«, fragte Kusma Lukow.
»Ein kleiner Sp-pazierritt. Ich will die Version Nummer eins überprüfen.«
Schneewittchen und die sieben Zwerge
Die Version Nummer eins war vorerst die Einzige. Und nach Fandorins Überzeugung die logischste.
Auf engem Raum existieren zwei Nachbarn, deren Verhältnis zueinander so zerrüttet ist, dass sie sich mit einem Zaun voneinander abgrenzen. Die russischen Siedler sind friedliche, nachgiebige Menschen, wohingegen die entwichenen Mormonen, wie berichtet wird, kämpferisch, streitsüchtig, unversöhnlich sind. Mit Fremden machen sie nicht viel Federlesens, und sie können bestens mit Waffen umgehen.
Über die Celestianer hatte Fandorin Folgendes herausgefunden:
Der Apostel Moroni und sechs seiner Brüder hatten den Staat Utah verlassen, das alte Bollwerk ihrer alttestamentarischen Religion, als die Väter der mormonischen Kirche unter dem Druck der Behörden zu überlegen begannen, ob sich ihre Gemeinde nicht von der Vielweiberei lossagen sollte. 1890 erließ der vierte Kirchenpräsident Wilford Woodruff ein Manifest, das den Mormonen verbot, mehr als eine Frau zu haben; da brachen die Celestianer die Beziehungen zu ihren einstigen Glaubensbrüdern endgültig ab.
Ihre Gemeinschaft isolierte sich von der Außenwelt noch mehr als der »Lichtstrahl«. Sie ließen niemanden auf ihr Territorium. Kusma Lukow hatte unterwegs erzählt, Moroni habe den Polizeichef von Splitstone vor die Wahl gestellt: Wenn er auf ihr Gebiet vordringe, werde er auf der Stelle erschossen, wenn er aber Abstand halte, bekomme er jeden Monat hundert Dollar. Und da das genau das Doppelte seines Gehalts sei, habe der Marshal gern eingewilligt (was sei von dem Helden mit der roten Nase auch anderes zu erwarten gewesen?) und erklärt, die Frage der Gerichtsbarkeit im Dream Valley sei strittig. Vielleicht unterstehe ihm das Tal gar nicht. Bevor das von kompetenten Instanzen entschieden sei, werde er sich nicht um das Dream Valley kümmern. Zugleich wies er auch jede Verantwortung für das Geschehen in der russischen Hälfte von sich, was ihm späterhin sehr zustatten kam, als dort die Bande auftauchte.
So geschah es, dass niemand die Celestianer anrührte und niemand sie hinderte, nach ihren Sitten und Gebräuchen zu leben.
Jeder der Brüder hatte mehrere Frauen, der älteste wohl gar ein Dutzend. In jeder Familie lebten an die zwanzig Kinder. Die Proportion zwischen Männern und Frauen wurde dadurch aufrechterhalten, dass nach Erreichen der Volljährigkeit nur der älteste Sohn das Recht erhielt, zu Hause zu bleiben. Man verheiratete ihn gleich mit zwei Bräuten, Kusinen. Die übrigen Söhne mussten »in die Welt« gehen und durften nur zurückkehren, wenn sie mindestenszwei neubekehrte Mädchen mitbrachten, sogenannte Täubchen.
Die Celestianer waren reich. An Büchern ließen sie ausschließlich das Alte Testament gelten. Sie waren fleißig. Abergläubisch. Ausgezeichnete Reiter. Trugen Hüte mit hohem konischem Oberteil, um die Gedanken himmelwärts zu lenken. Die Männer hatten keinen Schnurrbart, die Haare auf dem Kinn ließen sie jedoch wachsen, denn die bargen die Heiligkeit.
Deshalb hatte Fandorin den unbedarften Chariton gefragt, ob unter den schwarzen Tüchern der Räuber Bärte hervorgeschaut hätten.
Die Celestianer empfanden die russische Kommune sicherlich als Pfahl in ihrem Fleische. Wenn die Kommune das Dream Valley verließe,
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