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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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wäre das Tal eine absolut geschlossene Enklave, in der die Sektenmitglieder völlige Freiheit hätten.
    Als die Langbärte von der Bande der Schwarzen Tücher hörten, von der sie noch kein Mitglied zu Gesicht bekommen hatten, beschlossen sie, die Chance zu nutzen. Die List war leicht zu durchschauen. Das Prinzip »Wem nützt es« war hier überflüssig. Es gab einfach keine anderen Verdächtigen. Auch der bescheidene Einfall von einem kopflosen Geist stammte gewiss von den Celestianern. Nach ihrer simplen Berechnung sollte das kindische Schreckgespenst die Spur verwischen und den Eindruck erwecken, dass sie auch Opfer wären.
    Tja, im amerikanischen Westen war alles primitiv, selbst die Pläne der Verbrecher.
    Mit dieser blöden Geschichte musste schleunigst Schluss gemacht werden, gleich heute Nacht. Dann konnte er zurückkehren und an der Vervollkommnung der Feststellbremse weiterarbeiten.
    Fandorins Überlegungen wandten sich in eine interessantere Richtung. Das wahre Leben war dort, im Labor des technologischen Instituts von Massachusetts, wo die helle und vernünftigeZukunft der Menschheit geschmiedet wurde, gegen welche die lächerlichen Geheimnisse von Dream Valley dummes Zeug waren.
    Die Fuchsstute schritt gleichmäßig aus, schwebte lautlos über dem durchs Gras kriechenden Nebel. Ihre Hufe waren mit Lappen umwickelt, was die Geräusche dämpfte. Um die Tarnung war es schlechter bestellt. Bei Tageslicht sah Fandorins verschmutzter Anzug wohl nicht mehr weiß aus, aber in der Dunkelheit schimmerte er hell.
    Dafür war Masa weder zu sehen noch zu hören. Er hatte sich irgendwo versteckt und hielt Fandorin den Rücken frei. Die Stiefel mit den Sporen hatte er im Dorf gelassen, trug stattdessen Fußlappen und Bastschuhe, mied den Weg und hielt sich im Schatten.
    Eine Viertelstunde lang ritt Fandorin im Schritt an dem hölzernen Zaun entlang, der das Tal in zwei Hälften teilte, und suchte vergeblich nach einer Lücke. Eben erwog er hinüberzusetzen und nahm sogar das Gewehr aus dem Sattelfutteral, damit es beim Anlauf nicht dem Pferd gegen die Flanke schlug.
    Da ertönte plötzlich ein sonderbares Rascheln, etwas Langes, Dünnes sauste durch die Luft, und ehe der Reiter begreifen konnte, was geschah, legte sich eine Seilschlinge um seine Schultern, und im nächsten Moment riss ihn ein mächtiger Ruck aus dem Sattel.
    Die Remington flog klirrend zur Seite. Zwar hatte Fandorin früher mal die Kunst des weichen Fallens erlernt, doch mangels Praxis wieder vergessen. Er kam nicht dazu, einige Muskeln anzuspannen und andere zu lockern, und krachte auf die Erde, dass es ihm in den Ohren dröhnte. Im Übrigen hätte sich einer, der das Fallen nie geübt hatte, bei solchem Sturz wohl den Hals gebrochen.
    Wegen des widerlichen Dröhnens in den Ohren konnte der Gestürzte sekundenlang nichts hören, doch er sah deutlich hinter dem Zaun zwei dunkle Flecke auftauchen. Holz knarrte, und die Flecke verwandelten sich in flinke Schatten.
    Fandorin lag regungslos und hielt den Arm unnatürlich verdreht,als wäre er ohnmächtig. Wenn ihm nur Masa jetzt nicht zu Hilfe eilte! Das tat er nicht, er war ein erfahrener Mann.
    Nach den Bewegungen und den Stimmen zu urteilen, waren die vorsichtig Näherschleichenden ganz jung.
    »Ob ich schieße?«, fragte der eine in angespanntem Diskant.
    Der Zweite antwortete nicht sofort.
    »Hast du die Silberkugel drin?«
    »Was denn sonst?«
    Sie standen drei Schritte entfernt, als trauten sie sich nicht näher heran.
    »Warte.« Das Geräusch eines Pfropfens, der aus einer Flasche gezogen wird. »Erst mal mit Weihwasser besprengen.«
    Fandorin bekam kalte Spritzer ab. Was war das für ein Theater?
    Die Bürschchen, die höchstens zwanzig waren, murmelten miteinander ein Gebet: »Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Amen.«
    »Hat er einen Kopf?«, fragte der Erste und zog die Nase hoch.
    »Ich glaub schon. Aber wer weiß das so genau bei den Gespenstern … Hast du gesehen, wie er über der Erde geschwebt ist? Wie durch die Luft. Grausig!«
    »Ich fühl mal.« Ein Gewehrlauf berührte den Kopf des Liegenden. »Ja, er hat einen!«
    Na, das war zu viel.
    Fandorin, ohne aufzustehen, ließ seine Beine kreisen wie verrückt gewordene Uhrzeiger auf dem Zifferblatt, und der eine Angreifer polterte mit einem Schrei zu Boden. Den Zweiten packte Fandorin, der sich etwas aufgerichtet hatte, mit der Linken an der Gürtelschnalle und riss ihn zu sich, um ihn mit der rechten

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