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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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achtundzwanzig erwachsene Männer!«, rief Rasis. »Wir gehen alle mit!«
    Ein anderer unterstützte ihn.
    »Wir können auch die Jungs über fünfzehn mitnehmen, das wäre für sie nützlich. Dann kommen wir auf fast vierzig Reiter.«
    So kann ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, dachte Fandorin. Sogar drei. Das Mädchen retten, die Räuber aus dem Tal vertreiben und die Beziehungen zwischen den Nachbarn in Ordnung bringen. Colonel Star wird zufrieden sein.
    Aber die Ältesten waren sich nicht einig.
    »So geht das nicht«, sagte der Vater des jungen Mannes, dem das Gespenst zum Verhängnis geworden war. »Gespaltener Stein wird sich dem Gottlosen nicht zeigen. Und obendrein böse werden. Und die Folgen werden wir zu tragen haben.«
    Moroni beendete den Streit.
    »Methusalem hat recht. Wir Menschen des Glaubens dürfen nicht die Hilfe eines Gottlosen in Anspruch nehmen. Und auch der Neger hat recht. Wir müssen den Kopf hinbringen und werden es tun.«
    Dem Apostel sich zu widersetzen, wagte niemand. Der Beschluss war gefasst.
    »Aber wer von uns soll es tun?«, fragte Rasis.
    Alle blickten ängstlich auf den Kopf in der großen Silberschale, deren Rand im Widerschein der Flamme in bösartigem Rot flackerte.
    »Ich«, sagte Moroni kurz und schlug das Kreuz. »Wer kommt mit?«
    Fandorin sah ihn respektvoll an. Wohl nicht grundlos hatten die Celestianer den graubärtigen Zwerg als Apostel anerkannt und waren mit ihm von den angestammten Plätzen ans Ende der Welt gezogen. So musste ein richtiger Führer handeln.
    »Falls ich … Falls ich nicht zurückkomme …« Moroni bemühte sich nach Kräften, fest zu sprechen. »Dann übernimmst du das Ruder,Rasis. Und ihr, Brüder, schwört, dass ihr ihm gehorchen werdet wie mir.«
    Die Männer sahen ihn andächtig an und verbeugten sich tief zum Zeichen des Gehorsams.

    Alle zusammen gelangten sie zu einem Wäldchen, hinter dem sich bis zu dem Snake Canyon ein Feld erstreckte. Jenseits des Canyons türmten sich Felsen auf, deren Gipfel im grauen Dämmerlicht verschwammen. Der Morgen hatte noch nicht begonnen, war jedoch nicht mehr fern.
    »Da ist er, der dürre Baum«, sagte Reid und zeigte hin.
    In dreihundert Schritt Entfernung ragte eine schwarze Silhouette auf – dort war wohl der Rand des Canyons.
    Moroni, bleich und feierlich, stand hoch aufgerichtet und hielt vor sich die Schale mit dem dunklen abgerissenen Kopf. Wie ein Empfangskomitee mit Brotlaib, dachte Fandorin. Nur das Salznäpfchen fehlt.
    »Das Wichtigste – keine Gebete sprechen und den Namen Christi nicht erwähnen«, instruierte Reid den Apostel. »Ansonsten verschwindet er, ohne den Kopf mitzunehmen, und morgen fängt alles von vorne an. Legen Sie den Kopf unter den Baum und dann schnell wieder weg. Sie können ruhig rennen, das macht nichts. Ach richtig, vergessen Sie nicht zu sagen: ›Nicht wir haben ihn genommen, aber wir bringen ihn zurück‹.«
    Moroni wedelte den Ratgeber weg.
    »Brüder, das Gewehr! Wenn was ist, ich ergebe mich nicht kampflos.«
    Man reichte ihm eine altertümliche Muskete mit trichterförmig erweiterter Mündung, und der Apostel schob eine große Silberkugel in den Lauf. Dabei schlotterten ihm die Hände, und Fandorin stellte ein übriges Mal die Richtigkeit der Maxime fest: Wahrer Mut ist nicht Furchtlosigkeit, sondern Überwindung der Furcht.
    »Kein Gewehr!«, rief Reid flehend. »Das macht es nur noch schlimmer!«
    Aber der Apostel hörte nicht auf ihn.
    »Betet jetzt nicht«, sagte er seinen Brüdern zum Abschied. »Das könnt ihr später.«
    Dann ging er allein übers Feld. Der überm Boden wabernde Nebel reichte ihm zuerst bis an die Knie und dann bis zum Gürtel, und es sah aus, als durchquerte Moroni die Furt eines Milchflusses.
    »Die Hälfte hat er geschafft«, sagte Reid, »noch fünf Minuten, und …«
    »Aaah!«, schrie einer der Ältesten und zeigte zur Seite. »Da ist er! Da!«
    Alle fuhren herum, und es ertönte ein gemeinsamer krampfhafter Seufzer.
    Von der Seite her, aus der Dunkelheit, sprengte ein schwarzer Reiter mit wehendem Umhang. Er ritt ein mächtiges geschecktes Pferd, war selbst unnatürlich groß, und über den riesenbreiten Schultern war – nichts!
    Selbst dem kaltblütigen Fandorin wurde bei diesem Anblick unheimlich. Die Celestianer aber stürmten heulend und stöhnend davon. Bei Fandorin blieb nur Washington Reid.
    »Wirf den Kopf hin, wirf ihn hin!«, brüllte er Moroni zu. »Wirf ihn hin, sonst bist du verloren!«
    Der Apostel drehte

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