Das Halsband des Leoparden
Richtung.
Von der Leinwand schaute ein rundlicher bebrillter Herr in der Uniform der Nationalgarde mit dem Modell einer Fregatte in der Hand auf uns herab. Von seinem Urahn hatte der Des Essarts senior die Stupsnase und den wilden Glanz der Augen geerbt; dem Sohn hatte er das runde Gesicht und die Kurzsichtigkeit vermacht.
»Das ist alles sehr interessant, aber könnten Sie bitte zur Sachekommen«, sagte Holmes ungeduldig. »Erzählen Sie uns lieber, wie und wo Sie nach der Bombe gesucht haben.«
»Aber das will ich ja gerade! Wenn ich Ihnen nicht von Papa erzähle, können Sie nicht verstehen, warum wir nichts gefunden haben!«
Des Essarts schaute auf die Kaminuhr, schlug die Hände zusammen und sprach mit doppelter Geschwindigkeit weiter: »Wissen Sie, er war ein außergewöhnlicher Mann. Ein Original, wie man damals sagte, modern ausgedrückt: ein komischer Kauz. Er hatte ein großes Vermögen geerbt und hat es für alle möglichen Absonderlichkeiten ausgegeben. Stellen Sie sich vor, wir hatten ein eigenes Tiergehege im Park! In den Käfigen lebten Wölfe, Füchse, Wildschweine, ja, sogar ein Bär. Papa hatte sie selbst gefangen. Sein Kammerdiener, erinnere ich mich, war ein kleiner schwarzer Pygmäe aus Afrika – ich hatte schreckliche Angst vor ihm. Vor unserem Haus stand eine Kupferkanone vom Schiff unseres Urahns, und an Feiertagen feuerte Papa persönlich daraus einen Salut. Das führte auch zu seinem vorzeitigen Tod. Am 8. Juli 1860, an meinem siebten Geburtstag, explodierte die Kanone, und Papa war auf der Stelle tot.«
Der Schlossherr machte eine dem traurigen Anlass gemäße Pause, und ich staunte nach einer simplen arithmetischen Operation wieder einmal über die Exaktheit von Holmes’ Einschätzungen: Er hatte gleich gesagt, dass unser Klient jünger sei, als er auf den ersten Blick wirkte.
»Ich könnte noch lange die Absonderlichkeiten meines Vaters aufzählen und seine exzentrischen Handlungen, aber ich beschränke mich auf eine, die für uns wichtigste.« Des Essarts beschrieb mit dem Arm eine Art Kreis. »Ich spreche von diesem Haus. Papa hat unseren Stammsitz bis auf die Grundmauern abgerissen und umgebaut, ihn vollgestopft mit diversen Bagatellen … das heißt, mit allem Möglichen: Geheimgängen, verborgenen Nischen,singenden Fußböden, in die Wände eingemauerten Röhren, die bei einer bestimmten Windrichtung seufzten und heulten … Mütterchen hasste diese Dinge aus tiefstem Herzen. Nach Papas tragischem Tod zerstörte sie, was sie konnte. Doch sie fand bei weitem nicht alles. Vor acht Jahren zum Beispiel, als im kleinen Boudoir die Tapeten erneuert wurden, entdeckten wir in der Wand eine Nische mit unanständigen Büchern. Letztes Jahr gab es in der Schlucht an der Parkmauer« – Des Essarts wies mit der Handbewegung vage nach links – »einen Erdrutsch, und der entblößte im Hang einen unterirdischen Gang, der früher offensichtlich zum Haus geführt hatte, inzwischen aber eingestürzt war. Und vorletzten Herbst …«
»Sie brauchen nicht fortzufahren. Es ist schon alles klar«, unterbrach ihn Holmes, wobei er energisch die Finger zusammenpresste und wieder öffnete, was bei ihm stets ein Zeichen äußerster Erregung ist. »Die Bombe ist an einem geheimen Ort versteckt, von dem Ihre Mutter nichts wusste und Sie schon gar nicht.«
»Ja, ja, genau das wollte ich … Irgendwo muss es tatsächlich ein Geheimversteck geben, das mir nicht bekannt ist. Fragen Sie mich nicht, woher Lupin davon weiß – das verwirrt mich am meisten. Offenbar kennt dieser gemeine Dieb das Haus besser als sein Besitzer!«
»Verzeihen Sie, Sir«, konnte ich mich nicht enthalten – »trotz Ihrer Versicherung, das Ehrenwort dieses Erpressers sei unumstößlich, glaube ich, er will Sie einfach nur einschüchtern. Höchstwahrscheinlich gibt es gar kein Geheimversteck.«
»Doch!«, rief Des Essarts. »Dieser unverschämte Brief enthält sogar einen Code, mit dessen Hilfe man die Bombe finden kann!«
Nun verstand ich überhaupt nichts mehr, während Holmes gutmütig meinte: »Ich denke, Watson, es ist an der Zeit, einen Blick auf dieses verhängnisvolle Dokument zu werfen.«
Widerwillig, als handele es sich um eine Kröte, nahm der Schlossherr ein Blatt Papier vom Kaminsims und reichte es meinem Freund.
Ich blickte über seine Schulter und sah, dass der Brief in schwungvoll eleganter Schrift auf hellblauem Papier mit dem Monogramm
»AL«
geschrieben war.
Holmes überflog den Text, lachte auf und las
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