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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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ihn laut vor, wobei er ihn ins Englische übersetzte:
    30. Dezember 1899
    An den Besitzer des Anwesens du Vaux Garni

    Verehrter Herr,
    Arsène Lupin erlaubt sich, Sie mit einer Reichtumssteuer zu belegen.
    Wenn Sie mir mit dem letzten Stundenschlag des alten Jahrhunderts nicht 1 750 000 Franc übergeben, haben Sie mein Ehrenwort, dass Ihr Schloss mit allem, was darin ist, in die Luft fliegen wird. Morgen Abend spätestens um halb zwölf verlassen Sie das Haus oder schließen sich, wenn Ihnen das lieber ist, in Ihrem Kabinett ein, das Sie nicht vor Anbruch des zwanzigsten Jahrhunderts verlassen dürfen. Die Tasche mit dem Geld deponieren Sie im Speisezimmer.
    Wagen Sie nicht, auch nur eine einzige meiner Bedingungen zu missachten. Und Gott behüte Sie davor, sich an die Polizei zu wenden – in diesem Fall wird der Mechanismus der Höllenmaschine vorzeitig in Gang gesetzt, und Sie tragen die Verantwortung dafür. Nicht ich bin dann ein Mörder, sondern Ihre Habgier.
    Als Anreiz zum Nachdenken hier ein kleines Rätsel, ein verschlüsselter Hinweis auf den Ort, an dem ich die Bombe versteckt habe.
    24b. 25b. 18n. 24b. 23b. 24b.
    Wenn Sie das Rätsel lösen und die Bombe finden – Ihr Glück. Dann können Sie Ihr Geld behalten, denn ein scharfer Geist verdient Lohn. Das Uhrwerk ist mit einer einfachen Linksdrehung des roten Hebels abzuschalten.
    Also, wie die Lotterieverkäufer immer sagen: »Spielen Sie, gewinnen Sie!«
    Seien Sie meiner tiefen Hochachtung versichert
    A. L.
    »Was für eine Gemeinheit!«, entfuhr es mir. »Er spielt mit Ihnen Katz und Maus! Sie haben recht daran getan, sich an uns zu wenden. Holmes, mein Freund, Sie müssen das Rätsel unbedingt lösen. Der Gauner muss leer ausgehen!«
    »Das ist jetzt meine ganze Hoffart«, flüsterte Des Essarts, vermutlich »Hoffnung« meinend. Er sah den Detektiv voller Angst und Erwartung an.
    Holmes runzelte konzentriert die Stirn.
    »Drei Fragen, mein Herr. Die erste: Warum genau eine Million siebenhundertfünfzigtausend? Normalerweise verlangen Erpresser runde Summen. Die zweite: Was bedeutet das Unterstrichene ›mit allem, was darin ist‹. Die dritte: Wieso redet er von Mord? Können Sie mir diese Fragen beantworten?«
    Des Essarts seufzte traurig.
    »O ja, mein lieber Mr. Holmes. Das kann ich nur zu gut. Auf meinem Bankkonto liegen genau eine Million siebenhundertfünfzigtausend Francs. Das ist mein ganzes Kapital. Wir Des Essarts’ sind leider nicht mehr so sagenhaft reich wie früher. Papas Marotten und Mütterchens Unbeholfenheit haben beträchtlich an unserem einst so bedeutenden Vermögen gezehrt. Der Familienschatz aus der Truhe von Jean-François« – er wies auf das Porträt des stupsnasigen Urahns – »wurde zu Geld gemacht und größtenteils ausgegeben. Ich vermute, Lupins Interesse an du Vaux Garni wurde ursprünglich durch die Gerüchte über die Truhe des Korsaren geweckt. Aber wie Sie sehen, verlangt er in seinem Brief keine Brillanten und Smaragde. Er weiß also, dass sie nicht mehr existieren. Die pedantisch exakte Summe soll zeigen, dass er über meine finanzielle Lage vollkommen im Bilde ist. Er will mich komplett ruinieren!«
    »Dann erlauben Sie mir noch eine weitere Frage.« Holmes schaute sich im Raum um. »Wie viel kostet dieses Haus?«
    »Ich denke, an die dreihunderttausend.«
    Wir sahen uns an.
    »Hören Sie, Sir«, sagte ich mit einem unwillkürlichen Lächeln, »der Preis des Hauses beträgt doch nur ein gutes Sechstel der geforderten Summe. Was hat es für einen Sinn, viel wegzugeben, wenn man sich auf ein kleines Opfer beschränken kann? Zumal Immobilien in zivilisierten Ländern üblicherweise versichert sind.«
    »Das Schloss ist versichert, die Versicherungssumme beträgt dreihunderttausend«, bestätigte Des Essarts, und ich verstand gar nichts mehr.
    »Warten Sie, Watson.« Holmes berührte meinen Arm. »Monsieur Des Essarts hat die beiden anderen Fragen noch nicht beantwortet.«
    Dem Schlossherrn traten Tränen in die Augen. Er zog ein Taschentuch hervor, schnäuzte sich laut und stöhnte. Dann brachte er hervor: »Es geht gar nicht um das Haus! Nein, ich kann nicht … Kommen Sie, dann sehen Sie es selbst.«
    Er sprang von seinem Stuhl auf und eilte in einen schmalen, beiderseits mit Schränken vollgestellten Flur. Wir wechselten einen Blick und folgten ihm.

    IV

    Der Flur führte zu einer Treppe, über die wir in den zweiten Stock gelangten, in einen großen Raum – der Schlossherr nannte ihn das Diwanzimmer.

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