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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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duVaux Garni, dem Stammsitz der Familie Des Essarts«, erwiderte Holmes vollkommen ernst. »Und erlauben Sie mir eine weitere Korrektur Ihrer Beschreibung. Unser Klient ist nicht bloß aufgeregt. Er ist zu Tode erschrocken. Das sieht vielversprechend aus. Aber wir müssen gehen.«
    Sogleich ging er von Bord, begrüßte den emotionalen Herrn und stellte mich als seinen Assistenten vor.
    »Sehr, sehr … Ich hatte nicht zu hoffen gewagt … Sie sind meine Rettung, ja, meine Rettung!«, schnatterte Des Essarts mit einem heftigen Akzent, wobei er wild gestikulierte und mal nach meinem Koffer, mal nach Holmes Reiselaboratorium, mal nach dem Geigenkasten griff. »Hier ist meine Karte, Sie erlauben … Mein Gott, Sie sind gekommen, Mr. Holmes! Ich bin übermäßig, ich meine, außerordentlich froh. Wir sind gerettet!«
    Holmes warf einen Blick auf das rechteckige Stück Karton, lächelte flüchtig und reichte es mir. Darauf stand:

    Hektisch umherblickend führte uns der Inhaber all dieser klangvollen, wenngleich wenig soliden Titel zu einer offenen Kalesche. Bevor er auf dem Kutschbock Platz nahm, holte er zwei Möhren aus der Manteltasche und gab sie den glattgestriegelten, wohlgenährten Pferden.
    Ich mutmaßte, dass Holmes vom Schiff aus mit seinen scharfen Augen das Möhrengrün hatte aus der Tasche ragen sehen und daraus auf die Pferdeliebe unseres Klienten geschlossen hatte. DassMonsieur Des Essarts kein Reiter war, verriet sein nervöser, plumper Gang. Ein solcher Tolpatsch würde sich keine fünf Minuten im Sattel halten. Blieb noch die Liebe zur Elektrizität, das heißt, zum Fortschritt … Da bemerkte ich, dass der prächtige Spazierstock unseres Klienten unterm Knauf mit blauem Leinenband umwickelt war, wie es Elektriker zum Isolieren von Stromleitungen oder wie das heißt benutzen (ich gestehe, ich verstehe nicht viel von diesen Dingen).
    »Ihre deduktive Gabe beruht zu einem großen Teil auf Ihrer Weitsichtigkeit«, flüsterte ich meinem Freund zu, während ich mich neben ihn setzte und meinen Koffer auf den Schoß nahm. Ich hätte ihn auch hinten festschnallen können, aber es bereitete mir Vergnügen, den knarrenden, nach neuem Leder riechenden Griff zu spüren.
    »Sie ahnen nicht, wie aufgeregt ich war!« Des Essarts ergriff die Zügel, wandte sich aber mit dem ganzen Oberkörper zu uns um. »Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Aber nun wird alles gut, nun wird alles, wie man bei Ihnen sagt, capital. Habe ich mich richtig ausgedrückt?«
    »Nach Ihrem Telegramm zu urteilen, ist die Angelegenheit dringend«, erwiderte Holmes trocken. »Verlieren wir also keine Zeit. Kommen Sie zum Kern der Sache. Vorerst ohne Details.«
    »Zum Kern? Sie haben recht, ja, ja, Sie haben recht! Sofort …«
    Der Franzose überlegte, rückte seine Brille zurecht und sprudelte hervor: »Vor Ihnen steht ein weiteres Opfer des schlimmsten Verbrechers der Gegenwart!«
    »Der schlimmste Verbrecher der Gegenwart war Professor Moriarty«, erklärte ich. »Doch der liegt dank Mr. Holmes bereits seit acht Jahren auf dem Grund der Reichenbachfälle. Von wem sprechen Sie also?«
    »Von wem ich spreche?« Unser Kutscher machte einen kleinen Hüpfer auf seinem Sitz. »Natürlich von Arsène Lupin!«
    Offenbar war meine Miene recht beredt – in den hellen Kinderaugen von Monsieur Des Essarts, die mich durch dicke Brillengläser ansahen, spiegelte sich ungläubiges, ja fast beleidigtes Erstaunen.
    »Sie haben noch nie von Arsène Lupin gehört?«
    Daraufhin erlaubte sich Holmes eine recht taktlose Bemerkung über mich.
    »Wissen Sie, Sir, mein Assistent ist ein echter Engländer. Er liest ausschließlich britische Zeitungen und interessiert sich nicht für Nachrichten vom Kontinent. Nehmen Sie also zur Kenntnis, Watson: Arsène Lupin ist ein kriminelles Genie. Ich würde sogar sagen, ein Wunderkind, denn er ist erst fünfundzwanzig Jahre alt. Ungeachtet seines jugendlichen Alters hat er bereits eine Vielzahl einfallsreicher, kühner Diebstähle verübt. Er ist der Held der Pariser Boulevardblätter, an die er mitunter sogar Briefe und Mitteilungen schickt. Lupin ist überhaupt ein großer Freund des Theatralischen. Seine Glanznummer, die ihm immer wieder den Beifall des Publikums einbringt, besteht darin, eine Million zu stehlen und dann einen kleinen Teil der Beute mit großer Geste irgendeinem armen Teufel zu schenken. Und natürlich die Zeitungen davon zu informieren. Doch dieser Robin Hood agiert auch mit Erpressung, Menschenraub

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