Das Halsband des Leoparden
›Wir können die Patientin nicht auf eine Trage legen – sie würde nicht durch die Tür passen. Sie bleibt also hier. Und ich bleibe auch, ich habe den Eid des Hippokrates geschworen.‹ Er entließ die Pflegerin, die ihm assistierte, und blieb. Was für ein Mensch!«
»In der Tat«, sagte Holmes und runzelte die Stirn. »Ist der Professor auch jetzt dort?«
»Aber ja. Sie können selbst mit ihm sprechen.« Des Essarts putzte seine Brille, ohne die sein rundes Gesicht noch hilfloser wirkte. »So, nun wissen Sie Bescheid. Ich kann das Haus nicht opfern, und das weiß Lupin ganz genau. Sie sind also der letzte Strohhalm, an den ich mich klammere. Doch der Bankdirektor hält das Geld bereit. Sollten Sie Lupins Rätsel nicht lösen, gebe ich ihm alles, was ich habe … Dann werde ich den Stammsitz verkaufen und mit meiner Tochter ganz bescheiden leben. Hauptsache, Eugénie muss nicht im Rollstuhl sitzen … Ach ja, noch eins!«, besann er sich, »meine Tochter weiß nichts von der Höllenmaschine. Der Professor hat verboten, ihr davon zu erzählen. Die Kleine darf sich nicht aufregen.«
»Alles klar. Kommen Sie, Watson.« Holmes öffnete die Tür und verharrte vor dem schlitzartigen, etwa zehn Fuß langen und keinen Fuß breiten Gang. »Ich komme hier gewiss durch, aber Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht stecken bleiben. Sie werden sich seitlich durchzwängen müssen. Tja, das ist die Kehrseite Ihrer Leidenschaft für Porter und Porridge.«
Dieses Wortspiel war erstens nicht sehr geistreich und zweitens ungerecht. Natürlich bin ich nicht so dünn wie manch anderer, aber dank meiner regelmäßigen sportlichen Betätigung habe ich keine Unze überflüssigen Fetts an mir. Das wusste Holmes sehr wohl.
Bereit, seinen langen, schmalen Leib in den Spalt zu zwängen, drehte Sherlock Holmes sich noch einmal um und sah den Hausherrn in Richtung Ausgang gehen.
»Wo wollen Sie hin, Sir? Warten Sie hier. Wir könnten Sie für Auskünfte brauchen.«
Des Essarts trat verlegen von einem Bein aufs andere.
»Es ist gleich ein Uhr«, murmelte er, den Blick abgewandt. »Ich muss zum Zug aus Paris … In einer halben Stunde bin ich zurück. Wenn etwas ist, können Sie den Verwalter anrufen. Sie müssen nur einmal die Kurbel drehen, und er ist am Apparat.«
»Was wollen Sie am Zug aus Paris?«, fragte ich erstaunt. »Erwarten Sie noch jemanden?«
»Mr. Erast Fandorin. Einen berühmten amerikanischen Detektiv. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass er sich zur Zeit in Paris aufhält, und ihn um Hilfe gebeten«, stammelte Des Essarts errötend. »Erstens war ich nicht sicher, ob Mr. Holmes kommen würde … Und zweitens sind zwei Köpfe besser als einer. Habe ich mich richtig ausgedrückt?«
Wütend schrie ich: »Also wissen Sie, das ist ja unerhört! So geht man mit Sherlock Holmes nicht um! Wo wollen Sie hin? Kommen Sie sofort zurück!«
»Ich bin bald zurück … In einer halben Stunde«, blökte unser Klient und retirierte zur Tür. »Im Salon ist der Tisch gedeckt. Wein und ein kalter Imbiss. Wir setzen uns nachher zusammen und bereden alles.«
Damit huschte er in den Flur und war verschwunden.
Schäumend vor Empörung, drehte ich mich zu Holmes um – er lachte lautlos in sich hinein.
»Wir sind also doch nicht der letzte Strohhalm für Monsieur Des Essarts. So ist ein wahrer Franzose, Watson! Er setzt nie auf nur ein Pferd.«
»Ich schlage vor, wir rufen den Kutscher und fahren zum Hafen«,sagte ich. »Der Verlust seines gesamten Bankguthabens wird diesen Frechling lehren, wie man Sherlock Holmes behandelt. Wir werden ja sehen, ob dieser Amerikaner ihm helfen kann!«
»Erast Fandorin ist kein Amerikaner, er ist Russe.«
»Umso besser.« Ich zuckte die Achseln. »Russe! Bestimmt ein schöner Detektiv. Für das russische Verbrechen des Jahrhunderts: Ein Bär hat einem Bojaren ein Fass Wodka gestohlen. Wirklich Holmes, wir sollten fahren.«
»Um nichts auf der Welt! Das macht die Aufgabe für mich nur spannender. Fandorin ist ein äußerst erfahrener Detektiv, ich verfolge seine Leistungen seit langem. In den letzten Jahren hat er in Amerika gelebt und dort einige hochinteressante Operationen durchgeführt. Was ich bei der Detektivarbeit am meisten vermisse, ist der intellektuelle Wettbewerb. Mit wem soll ich mich denn messen, etwa mit Inspector Lestrade?« Er rieb sich voller Vorfreude die Hände. »Und Sie meinen, ich soll auf einen solchen Fall verzichten! Da ist zum einen der gerissenste Verbrecher Frankreichs
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