Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
gerechnet, mit irgendeiner entsetzlichen Krankheit, doch nun kamen diese guten Nachrichten. Vielleicht wurde doch noch alles gut. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. »Und wo wollt ihr wohnen?« fragte sie, weil ihr nichts anderes einfiel.
»Ach, Roy hat eine Wohnung hinter der Tankstelle in Topperville«, antwortete Helen. »Theodore wird auch bei uns wohnen. Wenigstens für eine Weile.«
»Das ist der im Rollstuhl?«
»Ja«, sagte Helen. »Die beiden sind schon lange zusammen.«
Emma trat auf die Veranda und umarmte die junge Frau. Helen roch leicht nach Ivory-Seife, so als habe sie gerade erst gebadet. »Willst du hereinkommen und dich setzen?«
»Nein, ich muss los«, sagte Helen. »Roy wartet auf mich.« Emma sah an ihr vorbei den Hügel hinunter. In der Parkbucht hinter Earskells altem Ford stand ein dungfarbener Wagen, der aussah wie eine Schildkröte. »Er predigt heute Abend in Millersburg, da wo der Familie die Augen ausgestochen worden sind. Wir haben schon den ganzen Morgen Spinnen gesammelt. Zum Glück findet man sie leicht bei dem Wetter.«
»Pass auf dich auf, Helen«, sagte Emma.
»Keine Bange«, erwiderte die junge Frau und ging die Verandatreppe hinunter, »die sind gar nicht so schlimm, wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat.«
3.
Im Frühjahr 1948 erhielt Emma Nachricht aus Ohio, dass sie endlich Großmutter geworden war; Willards Frau hatte einen gesunden Jungen namens Arvin Eugene zur Welt gebracht. Zu dem Zeitpunkt war die alte Frau sicher, dass Gott ihr den kurzzeitigen Glaubensverlust verziehen hatte. Fast drei Jahre waren vergangen, und nichts Schlimmes war geschehen. Einen Monat später dankte sie dem Herrn noch immer, dass ihr Enkel nicht blind und kleinköpfig auf die Welt gekommen war wie Edith Maxwells drei Kinder drüben am Spud Run. Etwa zur gleichen Zeit erschien Helen mit einer weiteren Neuigkeit an ihrer Tür. Seit sie Roy geheiratet hatte und zur Kirche in Topperville gewechselt war, hatte Emma sie nur selten gesehen. »Ich wollte nur mal vorbeischauen und Ihnen davon erzählen«, sagte Helen. Arme und Beine waren blass und dünn, doch der Bauch war schon sehr geschwollen.
»Ach, du meine Güte«, sagte Emma und öffnete die Fliegentür. »Komm rein, meine Liebe, und ruh dich aus.« Es war später Nachmittag, und graublaue Schatten lagen auf dem verkrauteten Hof. Unter der Veranda gluckte leise ein Huhn.
»Ich kann leider nicht.«
»Ach, so eilig kannst du es doch nicht haben. Ich mach dir was zu essen«, beharrte Emma. »Wir haben seit Ewigkeiten nicht mehr miteinander gesprochen.«
»Danke, Mrs. Russell, ein andermal vielleicht. Ich muss nach Hause.«
»Predigt Roy heute Abend?«
»Nein«, antwortete Helen. »Schon seit ein paar Monaten nicht mehr. Haben Sie es nicht gehört? Eine der Spinnen hat ihn übel gebissen. Sein Kopf war angeschwollen wie ein Kürbis. Es war fürchterlich. Er konnte über eine Woche die Augen gar nicht aufmachen.«
»Na«, sagte Emma, »vielleicht kann er bei der Stromgesellschaft anfangen. Jemand meinte, die würden Leute suchen. Die werden hier bald Elektrizität durchlegen.«
»Ach, ich glaube nicht«, entgegnete Helen. »Roy hat das Predigen nicht aufgegeben, er wartet nur auf eine Botschaft.«
»Eine Botschaft?«
»Er hat bereits eine ganze Weile keine mehr geschickt, Roy macht sich schon Sorgen.«
»Wer?«
»Na, der Herr, Mrs. Russell. Roy hört nur auf ihn.« Und damit ging sie die Stufen hinunter.
»Helen?«
Die junge Frau blieb stehen und drehte sich um. »Ja?«
Emma zögerte, wusste nicht genau, was sie sagen sollte. Sie sah an der Frau vorbei den Hügel hinunter zu dem dungfarbenen Wagen. Sie konnte eine dunkle Gestalt hinter dem Lenkrad sitzen sehen. »Du wirst eine gute Mutter werden«, sagte Emma.
Nach dem Spinnenbiss blieb Roy die meiste Zeit im Schlafzimmerschrank und wartete auf ein Zeichen. Er war überzeugt davon, dass der Herr ihm einen Knüppel zwischen die Beine geworfen hatte, um ihn auf etwas Bedeutenderes vorzubereiten. Was Theodore betraf, so hatte die Tatsache, dass Roy die Schlampe auch noch geschwängert hatte, das Fass zum Überlaufen gebracht. Er fing an zu trinken, blieb die ganze Nacht auf und spielte in den privaten Clubs und illegalen Spelunken im Hinterland. Er lernte Dutzende von sündigen Liedern über ehebrecherische Partner und kaltblütige Morde und hinter Gitterstäben vergeudete Leben. Wer am Ende der Nacht mit ihm zusammen war, legte ihn meist einfach betrunken
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