Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
Bis ich zum Herrn fand.«
Dann ging Roy auf die Knie und schüttelte erneut das Glas, bevor er den Deckel abschraubte. Theodore spielte langsamer, bis nur noch eine traurige, drohende Melodie zu hören war, die den Raum so eisig werden ließ, dass einem die Nackenhaare zu Berge standen. Roy hielt das Glas über sich, sah in die Gemeinde, holte tief Luft und kippte es aus. Eine quirlige Masse aus Spinnen, braunen, schwarzen und orange-gelb gestreiften, ergoss sich ihm auf Kopf und Schultern. Ein Schauder durchfuhr ihn wie elektrischer Strom, er stand auf, schmetterte das Glas auf den Boden, sodass die Splitter nur so umherflogen. Dann gab Roy wieder diesen entsetzlichen Schrei von sich, schüttelte Arme und Beine, und die Spinnen fielen zu Boden und eilten in alle Richtungen davon. Eine Frau mit einem Strickschal über den Schultern sprang auf und rannte zur Tür, andere schrien, und in all dem Getümmel trat Roy vor, ein paar Spinnen klebten ihm noch im verschwitzten Gesicht, und rief: »Achtet auf meine Worte, der Herr wird euch all die Ängste nehmen, wenn ihr ihn nur lasst. Schaut, was er für mich getan hat.« Dann würgte er ein wenig und spuckte etwas Schwarzes aus.
Eine andere Frau klopfte sich ihr Kleid ab und rief, sie sei gebissen worden, Kinder schluchzten. Reverend Sykes eilte hin und her und versuchte, wieder Ordnung zu schaffen, doch die Gemeinde lief bereits in Panik auf die schmale Tür zu. Emma fasste Helen am Arm und wollte sie hinausführen. Doch die junge Frau schüttelte sie ab, drehte sich um und trat den Gang entlang. Sie drückte sich ihre Bibel an die flache Brust und starrte Bruder Roy an. Theodore spielte weiter Gitarre und sah, wie sein Cousin sich beiläufig eine Spinne vom Ohr wischte und die zarte, unscheinbar wirkende Dame anlächelte. Theodore hörte nicht auf zu spielen, bis er sah, wie Roy die dürre Frau mit den Händen zu sich winkte.
Auf dem Heimweg sagte Willard: »Junge, Junge, die Nummer mit den Spinnen war klasse.« Er streckte die rechte Hand aus und ließ seine Fingerspitzen leicht über den dicken, weichen Arm seiner Mutter laufen.
Sie kreischte und schlug nach ihm. »Lass das. Ich kann sowieso schon nicht schlafen.«
»Hast du den Kerl schon mal predigen hören?«
»Nein, aber in der Kirche da in Topperville machen sie alle möglichen verrückten Sachen. Ich wette, Reverend Sykes tut es leid, ihn überhaupt eingeladen zu haben. Der andere im Rollstuhl hat zu viel Strychnin oder Frostschutzmittel oder so was getrunken, deshalb kann er nicht laufen. Es ist ein Jammer. Den Glauben prüfen, nennen die das. Das geht ein wenig zu weit, meiner Meinung nach.« Sie seufzte und ließ den Kopf auf die Rückenlehne sinken. »Ich wünschte, Helen wäre mit uns gekommen.«
»Na, diese Predigt hat jedenfalls niemand verschlafen, das muss man ihm lassen.«
»Weißt du«, fuhr Emma fort, »wenn du dich ein wenig mehr um sie gekümmert hättest, wäre sie wohl mitgekommen.«
»Ach, so wie’s aussieht, wird sie bei Bruder Roy so viel Aufmerksamkeit bekommen, wie sie nur vertragen kann.«
»Das befürchte ich ja gerade«, entgegnete Emma.
»Mutter, ich gehe in ein, zwei Tagen nach Ohio. Das weißt du doch.«
Darauf ging sie nicht ein. »Helen wird jemandem eine gute Frau sein, ganz bestimmt.«
Ein paar Wochen nachdem Willard nach Ohio gefahren war, um alles über die Kellnerin herauszufinden, klopfte Helen an Emmas Tür. Es war früher Nachmittag an einem warmen Novembertag. Die ältere Frau saß im Wohnzimmer vor dem Radio und las noch einmal den Brief, den sie am Morgen erhalten hatte. Willard und die Kellnerin hatten vor einer Woche geheiratet. Sie würden in Ohio bleiben, zumindest für den Augenblick. Willard hatte Arbeit im Schlachthof gefunden und schrieb, in seinem ganzen Leben habe er noch nie so viele Schweine gesehen. Der Mann im Radio gab der radioaktiven Strahlung von den Atombomben, die gezündet worden waren, um den Krieg zu gewinnen, die Schuld an dem für die Jahreszeit unpassenden Wetter.
»Ich wollte es Ihnen als Erste sagen, weil ich weiß, dass Sie sich Sorgen um mich gemacht haben«, sagte Helen. Es war das erste Mal, dass Emma sie ohne ihre Haube auf dem Kopf sah.
»Was denn, Helen?«
»Roy hat um meine Hand angehalten«, sagte Helen. »Er meinte, Gott habe ihm ein Zeichen gegeben, dass wir füreinander bestimmt seien.«
Emma stand in der Tür mit Willards Brief in der Hand und dachte an ihr Versprechen. Sie hatte mit einem fürchterlichen Unfall
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