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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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die Hoden abzubeißen und sie vor ihm zu essen, einer Schwangeren den Bauch aufzuschlitzen, einem Kind am Arm seiner Mutter die Kehle durchzuschneiden und ihr das Gesicht in den hervorspritzenden Blutstrahl zu drücken oder eine Frau unter den Augen ihres sterbenden Vaters zu vergewaltigen. Zu jedem so bekannt gewordenen Ort erwähnte er ein halbes Dutzend andere, von denen ich nicht einmal die Namen kannte, geschweige daß ich sie buchstabieren könnte, oder auch nur auseinanderhalten, wer dort wen umgebracht hatte, und obwohl kein Zweifel bestand, daß die Genossen aus Knin, aus Banja Luka und Pale den anderen immer um ein paar Köpfe voraus waren, die Vertreter der Belgrader Klientel ihren Gegenspielern aus Zagreb und Mostar, um von denen in Sarajevo nicht zu reden, versuchte ich erst gar nicht, mich in dem Durcheinander zurechtzufinden. Kein Fluß, in dem nicht Tote getrieben wären, kein Platz, so schien es mir, an dem man sich in Zukunft nicht fragte, was sich darunter verbarg, aber das war es nicht, was mir von seinen Reportagen am genauesten in Erinnerung blieb, im Gegenteil, je mehr Details er ausbreitete, um so mehr schienen sie sich gegenseitig auszulöschen, schienen noch die größten Abscheulichkeiten im einmal vorgegebenen Rahmen am Ende normal zu sein.
    Vielleicht klingt es zynisch, aber für mich war der Schrecken eher konkret, wenn er von den warmlaufenden Panzermotoren in den Armeekasernen schrieb, ganz am Anfang der Auseinandersetzungen, ihrem unheilverkündenden Lärm, der über die Mauern drang, von den Patrouillebooten, die an der serbisch-kroatischen Grenze auf der Donau hin- und herkreuzten, oder von den Schiffen in der Bucht vor Šibenik, ihrem langsamen Auftauchen aus dem Dunst im ersten Morgenlicht und ihrer vollkommenen Lautlosigkeit, ehe sie mit dem Beschuß der Stadt begannen. Es ist seine Beschreibung einer Stelle, an der ein Jahr, bevor er dorthin kam, ein Massaker stattgefunden hatte, die Schilderung einer regelrechten Idylle, wären nicht die Patronenhülsen gewesen, die er fand, die groteske Friedlichkeit, die mich den Kopf schütteln läßt, sooft ich daran denke, es hätte keinen schrecklicheren Ort geben können, zu sterben, als mitten im Hochsommer auf einer von Buchen und Pappeln begrenzten Lichtung, auf der es nach Holunder roch, das Zirpen von Grillen, das Rauschen eines Bachs zu hören war und die Zeit stillzustehen schien. Was auch immer er sonst noch zu Tage gefördert hat, es sind einzelne Bilder, die sich mir eingeprägt haben, es ist ein weißer Kühlwagen, der am Rand eines Gräberfelds steht, es sind die Flüchtlingstrecks, die er buchstäblich in alle Himmelsrichtungen ziehen gesehen hat, die Vertriebenen, Tausende und Abertausende, von denen er nicht nur einmal sagt, sie hätten sich Hals über Kopf davongemacht, hätten alles stehen und liegen lassen und seien geflohen, das Essen noch auf dem Tisch, die Wäsche an den Leinen, was in der Wiederholung wie erfunden klingt, es sind die händeringenden Zimmervermieter entlang der Küste, deren Gäste ausgeblieben waren, die beiden alten Frauen in Split, die ihm erzählt hatten, sie würden nach der Rückkehr in ihre Dörfer wieder drei Schweine haben und den besten Schinken von ganz Dalmatien machen, oder die bettelnden Kinder, die in Opatija und anderswo hinter ihm hergelaufen waren, ihr Schwarm um so größer, je öfter er eine Handvoll Dinar oder Kuna an sie verteilt hatte.
    Am Ende war es eine ganze Heerschar von Leuten, die er im Lauf der Jahre getroffen haben mußte, Leute aus den unterschiedlichsten Lagern, die ihm ihre Version der Geschichte erzählt hatten, Armeegeneräle, die ihn entweder jovial in ihren Villen oder in voller Kampfmontur im Gelände empfingen und so taten, als wäre der Krieg nur ein Geschäft, nicht schmutziger als andere, Freischärler und Milizionäre in absurden Uniformen, die sich mit ihren Schandtaten brüsteten, Söldner aus halb Europa, von denen manche auf allen Seiten gekämpft hatten, und andere Figuren, Hasardeure, für die das Wort Abenteurer eine Schmeichelei war. Er hatte mit ihnen gesprochen, hatte serbische und kroatische Gefangenenlager besucht und war sich bewußt geworden, daß er den Insassen nicht die richtigen Fragen gestellt hatte, weil die Antworten allzu klar waren, hatte mit ihnen nur geredet, um schließlich zu schweigen, wie er voll Pathos schrieb, kein Wort mehr zu sagen, nur seinen Blick abzuwenden vor Scham und sich auch noch für seinen abgewandten Blick zu

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