Das Handwerk des Toetens
Sondergenehmigung bis in die vordersten Stellungen gelangt, von denen die serbischen Linien manchmal kaum mehr als einen Steinwurf entfernt waren, und er malte eine trostlose Szene aus, eine Häusergruppe mit zerborstenen Fenstern, ein paar kahle Bäume und ein mit einer dünnen Schneeschicht bedecktes Maisfeld, in dem in einem völligen Wirrwarr Reste von geknickten und verfaulten Pflanzen standen, dazu ein auf das Dach gekipptes, ausgebranntes Auto, eine Zickzacklinie von Sandsäcken und den weiten, wie er schrieb, gnadenlosen pannonischen Himmel. Zum ersten Mal war ihm im ganzen Ausmaß die Bedrückung anzumerken, die ihn gepackt hatte, ein Gefühl vollkommenen Ausgesetztseins, obwohl er am Abend davor noch mit einer Bekannten durch die Zagreber Cafés gezogen war, ein Erschrecken, als gäbe es nach dem Verlust der Kindheit noch einen Übergang, vom Erwachsensein in ein Stadium, das einen aus der Menschheit ausschloß, so perplex war er, sich mit einem halben Dutzend wildfremder Männer in diesem Fegefeuer wiederzufinden, forsch blickenden Burschen, die in einem dachlosen Gebäude um einen Ofen saßen, während eine Wache draußen das Gelände im Auge behielt. Ab und zu ging einer austreten und zwängte sich gebückt durch den schulterhohen Graben direkt vor dem Eingang die paar Meter zur Latrine, von Zeit zu Zeit fielen lustlos ein paar Schüsse, hielt er minutiös fest, einmal, in der Ferne, registrierte er eine Granate, unter deren geradezu sanftem Heulen sich längst keiner mehr duckte, und genauso resigniert war dann auch die Klage, die er anschlug, seine Beteuerung, die auf der anderen Seite seien ihre Nachbarn gewesen, ihre Arbeitskollegen, sie wären zwei Jahre davor noch gemeinsam zum Schwimmen an die Donau gefahren, hätten zusammen Fußball gespielt, Sommer für Sommer ihre Feste gefeiert und, wenn es sein mußte, sich sogar untereinander mit ihren Schwestern verheiratet. Er ahnte, daß es eine Demonstration für ihn war, als einer sein Telephon in die Hand nahm und drüben, wie er sagte, anrief und dann sein Hallo und sein Hey, Čedo, wie geht’s? so laut hineinbrüllte, daß es weithin zu hören war, sein Genecke und Gestichel so lange, sein immer schärfer werdendes Geschrei, bis er hinausstürmte und tobend und brüllend ein ganzes Magazin in die mitten am Nachmittag hereinbrechende Dämmerung schoß.
Was Allmayer dann von dem Anführer des Trupps wirklich erfuhr, war nach seiner Darstellung nicht unbedingt ergiebig. Er sagte ihm nichts Überraschendes, wenn er eingestand, daß es zuerst schwer sei, abzudrücken, und schräg war vielleicht nur der Vergleich mit einem Mädchen, das am Anfang noch Hemmungen haben mochte, sich für Geld auszuziehen, später aber schnell damit zurechtkam und am Ende mit einer Selbstverständlichkeit eine Hure war, als wäre das immer schon seine Bestimmung gewesen. Abgesehen von dem Bekenntnis, daß er sich nur nach dem ersten Mal gewünscht hatte, alles ungeschehen machen zu können, während ihm von da an jedes weitere Mal geradezu wie eine Möglichkeit erschienen war, die Erinnerung auszulöschen, brachte er kaum etwas aus ihm heraus, und der Skandal bestand nicht darin, sondern in der Tatsache, ihm überhaupt die Gelegenheit gegeben zu haben, sich in Szene zu setzen, einem mutmaßlichen Mörder, ihn nicht zur Rede zu stellen und statt dessen frei daherschwadronieren zu lassen, drauflosplappern, ohne sich zu fragen, ob er einen nicht nur auf den Arm nahm, Sprüche klopfen, er würde mit seiner Serie erst aufhören, wenn er so viele Köpfe auf dem Konto hätte, wie es Perlen an einem Rosenkranz gab.
Das war ein auffälliger Vergleich, aber Paul strapazierte selbst eine biblische Metaphorik, als er erzählte, er habe in seinem Leben ein einziges Mal durch ein Zielfernrohr geschaut und wünsche sich seither, es nicht getan zu haben. Es war bei ihm zu Hause gewesen, vor Jahren, das Gewehr eines Jägers, der es auf seinem Autodach aufgelegt hatte, und er sagte, es sei ihm obszön vorgekommen, wie eine Sünde, ob man das Wort mochte oder nicht, als er durch das Glas auf der gegenüberliegenden Talseite drei Rehe gesehen hatte, die, ohne sich zu rühren, im hüfthohen Gras gestanden waren. Worauf er hinauswollte, erschien nur im ersten Augenblick paradox, dann aber um so schlüssiger, nämlich, daß es ihn wie ein Schock überfallen hätte, während er mit angehaltenem Atem auf seinem Beobachtungsposten gestanden war, so überraschend, die Erkenntnis, daß das Paradies
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