Das Handwerk des Toetens
bedrohlich wirkenden schwarzen Doppeladler, den sie auf rotem Grund am Ärmel trugen, versuchte, ein Bild von ihm zu bekommen, wie er in einer südalbanischen Hafenstadt umherirrte, und schaute doch nur auf das Gedränge auf den Bahnsteigen, die aus den Zügen quellenden Gestalten, die sich ohne Ziel und ohne Richtung, wie es schien, und doch nach einem streng mathematischen Gesetz über die ganze Stadt verteilten. Als hätte er es geahnt, dachte ich und wußte zugleich, wie unsinnig das war, als hätte sein ganzes Hin und Her nur darauf abgezielt, ihn zur falschen Zeit an den falschen Ort zu bringen, wo ihn sein Schicksal ereilte, wie es dann immer hieß, und es stimmte, was Paul sagte über das Davor und Danach bei solchen Katastrophen, er hatte recht, man konnte sich dem Zeitpunkt, wo jemand zu Tode kam, beliebig annähern, konnte das Intervall zwischen dem Augenblick, in dem er noch gelebt hatte, und jenem, in dem er schon tot war, so lange verkleinern, bis man es fast nicht mehr aushielt, zu denken, daß dazwischen überhaupt etwas geschehen sein sollte.
Doch darüber zu reden, war müßig, Wortgeklimper, das einen nicht weiterbrachte, und ich bat ihn, damit aufzuhören und mir lieber zu erklären, nach welchen Kriterien er die Stellen in dem Konvolut angestrichen hatte, das vor uns auf dem Tischchen lag.
»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte er. »Es spielt auch keine Rolle, weil es für mich wenig Zweifel gibt, was das Wichtigste an dem ganzen Haufen ist.«
In seinen Augen waren es zwei Dinge, für die allein sich Allmayers Arbeit gelohnt hatte, und er weihte mich erstaunlicherweise darin ein.
»Denk nur an sein Interview mit dem Frontkämpfer und an die Geschichte von dem albanischen Jugendlichen, der bei einem Angriff von hinten erschossen worden sein muß«, sagte er, als wäre er seit langem damit vertraut. »Vielleicht hältst du es für übertrieben, aber wenn du weißt, wie er selbst umgekommen ist, wirken die beiden Ereignisse fast schon wie Omen.«
Tatsächlich hätten sie ihm gelten können, obwohl sie räumlich und zeitlich weit auseinanderlagen, seine anklagende Beschreibung eines Mordes mitten im Kosovo, die er Anfang des Jahres veröffentlicht hatte, und sein weithin bekannt gewordenes Frage-und-Antwort-Spiel mit einem unberechenbaren Finsterling, einem kroatischen Kriegsherrn, dem er einen Monat nach dem Fall von Vukovar, das seine Leute nach wochenlangen Kämpfen hatten aufgeben müssen, an der slawonischen Front nicht weit von der serbischen Grenze begegnet war.
Ich hatte schon am Abend davor mit zunehmender Beklemmung von dem in einem Straßengraben verbluteten Jungen gelesen und am Morgen wieder daran gedacht, daß er Wunden im Unterleib und in der Brust gehabt haben soll, als ich die Zeitungen durchblätterte und auf einen Bericht über Allmayers eigene Verletzungen stieß, unterhalb des Solarplexus, hieß es dort, Schüsse aus einer Entfernung von ein paar hundert Metern, mit einem Schnellfeuergewehr, und daß seine Eingeweide zerfetzt worden waren.
»Wenn man abergläubisch wäre, möchte man meinen, er hat das Unglück selbst auf sich gezogen«, sagte ich, obwohl ich wußte, daß es eine Dummheit war. »Viel genauer, als er es getan hat, kann man seinen eigenen Tod kaum vorwegnehmen.«
Doch Paul versteifte sich auf das Interview, das Allmayer schon im ersten Kriegsjahr wenige Tage vor Weihnachten in der Nähe von Vinkovci geführt hatte und das mich beim Wiederlesen immer frösteln ließ, hätte er doch mit seinem späteren Mörder sprechen können, ihn fragen, wie es war, auf einmal einen Menschen im Visier zu haben, was für ein Gefühl, wenn plötzlich ein Kopf im Fadenkreuz auftauchte und man den Finger am Abzug hatte.
»Der Zwischenfall in Bosnien, bei dem er ausgeraubt worden ist, muß sehr viel später gewesen sein«, sagte er. »Wahrscheinlich hätte er sich sonst gar nicht auf diese Begegnung eingelassen.«
Ich sah ihn skeptisch an, und er setzte nach.
»Er würde sich im Zweifelsfall doch kaum freiwillig in eine Situation begeben haben, die ihn schon einmal fast den Kragen gekostet hat.«
Das war mir zu schlicht, und ich erwiderte, daß er sich vielleicht in ihm täusche und nicht wissen könne, ob er für eine gute Geschichte nicht zu allem bereit gewesen wäre.
»Es kann sein, daß er irgendwann keine Bedenken mehr gehabt hat«, sagte ich. »Mehr braucht es nicht, um sein Verhalten zu erklären.«
Offenbar war er über seinen Dolmetscher mit einer
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