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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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schämen angesichts der bis auf das Skelett abgemagerten Männer, die er zu Gesicht bekommen hatte. Ob einem das beschönigt erschien oder nicht, zurechtgelegt für seine schonungsbedürftigen Leser in ihren Wohnzimmern, hatte er damit wahrscheinlich doch etwas getroffen, das in seinen späteren Interviews immer anwesend war, eine Irritation über alles Geplapper, wenn er mit den ersten Touristen sprach, die nach der Katastrophe wieder an der dalmatinischen Küste auftauchten und in ihren Autos durch die in Schutt liegenden Dörfer im Karst fuhren oder gar ganze Tagesausflüge nach Bosnien unternahmen, ein Widerstand gegen die eine Zeitlang fast Woche für Woche aus der ganzen Welt einfliegenden Selbstdarsteller, die sich herabließen, den Eingeborenen zu erklären, warum sie sich die Schädel einschlugen, und auch eine Demut, viel zu viel zu wissen und gleichzeitig gar nichts, zumindest nichts über die Ursachen von allem, das nicht über die üblichen Banalitäten hinausging. Um so verwunderlicher war es, daß er selbst so oft danebengriff, daß er immer gleich die Ustascha herbeibeschwören mußte und genauso inflationär von den Tschetniks sprach, daß ein Gewehr nicht ein Gewehr sein konnte, es war selbstverständlich eine Kalaschnikow, zumal wenn eine Frau es in der Hand hatte und man zwischen den Zeilen merkte, wie sehr ihn das abstieß und erregte, oder daß er mit allen gleich Slibowitz trank, gezählte zwei Dutzend Mal in seinen Reportagen. Das waren nur ein paar Beispiele, aber wenn er dann auch noch auf das sogenannte Mädchen aus Sarajevo hereinfiel und sein Tagebuch, ein kitschiges Elaborat, das um die Welt gegangen war, wenn er daraus zu Tränen gerührt zitierte und nicht hören wollte, wie falsch der Satz Liebe Mimmy, die politische Lage ist bescheuert von einer Dreizehnjährigen war, konnte man nur den Kopf schütteln und ihm resigniert das Verdikt eines Kriegsherren unter die Nase reiben, das er selbst festgehalten hatte, seine Absage an alles billige Moralisieren, mehr noch, seine Belustigung über jegliche Bedenken in Zeiten des Krieges, den Ausspruch, sie wären lächerlich, ein grotesker Luxus, höchstens etwas für Dummköpfe und Amerikaner.
    Es war daher für mich das erste, Paul zu fragen, ob er bemerkt hatte, wie schlecht Teile davon geschrieben waren, als ich ihn am nächsten Morgen traf, aber er winkte bloß ab.
    »Das liegt an der Vorgabe der Zeitung«, sagte er. »Wenn man es allen recht machen will, stimmt am Ende meistens nicht mehr viel.«
    Darauf verstieg er sich zu einer merkwürdigen Aussage.
    »Einiges davon geht auch zu Lasten der Lehrer.«
    Ich hielt es für einen Scherz und lachte, aber er nahm es selbst ernster, als ich gedacht hatte, oder wollte es auch nur so lange weiterverfolgen, bis das Spiel ausgereizt war.
    »Beim Aufsatzschreiben in der Schule wird doch jedem Rotzlöffel eingetrichtert, Wortwiederholungen um alles in der Welt zu vermeiden«, fuhr er fort. »Dabei kommen lauter Meister des Synonyms heraus, die einen Ausdruck immer durch den nächstschlimmeren ersetzen.«
    Zuerst verstand ich nicht recht, was er meinte, aber bevor er sich vollkommen verrannt hatte, sprach er schon wieder über Allmayer, und offensichtlich wollte er genau auf das hinaus, was mir selbst aufgefallen war.
    »Man muß nur schauen, wie schnell er seine Totschlagwörter auffährt«, sagte er. »Obwohl das manchmal begründet sein mag, ist es eine Katastrophe, wenn es System hat oder nur aus Schludrigkeit geschieht.«
    Bis zu seiner Abreise war noch eine knappe Stunde, und während in dem Bahnhofsbuffet, in dem wir uns zeitig getroffen hatten, die Leute kamen und gingen, ließ er Allmayers letzte Wochen Revue passieren, erstaunt, wo er überall gewesen war, in welchen gottverlassenen Käffern entlang der Grenze zum Kosovo, angefangen bei dem Lager, mit dem er Helena traktiert hatte, in welchen von Flüchtlingen überfüllten Nestern, über die manchmal hoch am Himmel die Bomber hinweggezogen waren. Er rekapitulierte die Stationen, und ich versuchte, ihn mir vorzustellen, übermüdet mit seinem Photographen im Fond eines Wagens, den ihr Dolmetscher über eine schlaglöcherübersäte Straße chauffierte, versuchte, ihn zu sehen, wie er mit einer Gruppe von Aufständischen sprach, an der Bar des einzigen Luxushotels in Tirana, ein Fremder unter den hitzig auf ihn einredenden Männern mit ihren Klagen über jahrzehntelange Unterdrückung, ihren plötzlich in die Luft zuckenden Fäusten und dem

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