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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Programm, und ich mußte warten, bis er wieder ruhiger wurde, um ihn zu fragen, ob er nicht übertrieb.
    »Das erfindest du doch?«
    Er gab sich empört und sah mich an, wie wenn es die schlimmste Zumutung für ihn wäre, seine Art der Darstellung angezweifelt zu sehen.
    »Erfinden?«
    Abweisender hätte er es nicht aussprechen können.
    »Ich habe es nicht nötig, etwas zu erfinden«, sagte er dann, als wäre das nicht sonst immer seine liebste Vorgehensweise gewesen. »Die Geschichte spricht so sehr für sich, daß ich ihr damit nur etwas nehmen würde.«
    Dann erzählte er, Allmayer habe nicht nur einmal davon gesprochen, wie er in der Nähe der Front oft mit dem Gefühl wach geworden sei, seit seiner Feuertaufe irgendwo an der Save noch den schlimmsten Kriegsherren näherzustehen als seinen besten Freunden zu Hause, mit einem dieser sonnenbrillenbewehrten, schmerbäuchigen Kerle, die in ihren Jeeps aus dem Nichts heranbrausen und sich als Herrscher über Leben und Tod gebärden konnten, zu seinem Entsetzen mehr zu tun zu haben als mit seinen Bekannten von früher, die in einer anderen, für ihn nicht mehr erreichbaren Welt lebten.
    Ich weiß nicht, ob es wirklich Zustimmung war, die in seiner Stimme mitschwang, aber nach allem, was er davor gesagt hatte, wäre das für mich nicht überraschend gewesen.
    Meine Vermutung wurde noch dadurch verstärkt, daß er einen Satz zitierte, den Allmayer von sich gegeben hatte, als sie eines Tages auf die neuesten Bücher zu sprechen gekommen waren, über die er auch mitten im Krieg auf dem laufenden zu bleiben versuchte.
    »Wenn man einmal aus nächster Nähe ein Gefecht erlebt hat, erledigen sich zwei Drittel der schönen Literatur ganz von allein.«
    Das war mir zu halbstark, zu sehr voller Ressentiments auch, um so mehr, als ich plötzlich merkte, wie sehr er ihm gefiel. Es steckte etwas von der unseligen Haltung dahinter, daß nur wer einmal an der Front gewesen war, überhaupt mitreden konnte, aber als ich ihm das zu erklären versuchte, winkte er ab und erwiderte, es habe keinen Sinn, mit mir zu reden, wenn ich von vornherein auf nichts anderes als ein Mißverständnis aus war. Mehr wollte er offensichtlich gar nicht sagen, und entweder ich hatte ihn wirklich verärgert, oder es gab sonst einen Grund, daß er verstummte und sich umsah, als wäre ihm jeder weitere Augenblick, den er in meiner Gesellschaft aushalten mußte, zu viel.
    Ich erinnere mich, daß ich ihn noch gefragt habe, wann sie sich eigentlich getrennt hatten, Lilly und Allmayer, aber er antwortete nur, er habe keine Ahnung, schüttete die letzten Tropfen des Weins aus seinem Glas auf den Boden und hatte es auf einmal eilig zu zahlen, gab der Kellnerin ein geradezu hochstaplerisches Trinkgeld und stand abrupt auf. Dann wieder dieses wortlose Zurückhängen, ich weiß nicht, wie anders es nennen, dieses Hinter-mir-her-Tappen, das mir schon genauso vertraut war wie sein Gestikulieren, wenn er sich auf gleicher Höhe mit mir hielt, und als ich ihm anbot, ihn mit dem Auto irgendwo abzusetzen, und er es ablehnte und sagte, er komme schon zurecht, fiel mir zum ersten Mal auf, daß ich gar nicht wußte, wo er wohnte. Er ging mit mir noch ein Stück Richtung Parkplatz, blieb an der Abzweigung zu den Landungsbrücken hinunter stehen und verabschiedete sich, wollte wissen, ob er Helena grüßen solle, wenn er sie später noch besuchte, und setzte dabei ein Lächeln auf, das mir seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist, eine Mischung aus Wohlwollen und Spott.
    Ich hatte mich absichtlich nicht nach ihr erkundigt und nickte nur, und er tat so, als wollte er mir die Faust gegen den Oberarm puffen, bremste den Schwung jedoch knapp davor ab. Wie ertappt zog er seine Hand zurück, wartete ein paar Augenblicke und tippte mich zu guter Letzt nur ganz sacht mit dem Zeigefinger an. Dann bewegte er die Lippen, ohne einen Laut von sich zu geben, und ich dachte, er würde weit ausholen, aber es kam nur das Übliche.
    »Wir sehen uns.«
    Ich hatte noch gar nicht zugestimmt, als er es schon wiederholte, und es hätte gerade noch gefehlt, daß er mir den hochgereckten Daumen entgegenhielt.
    »Ich muß los«, sagte er mit einem Blick auf seine Uhr noch einmal und ging doch nicht. »Es tut mir leid, aber ich kann nicht mehr bleiben.«
    Der Himmel war wieder bedeckt, ein giftiges Gelb, vor dem die ersten Lichter etwas Aufgekratztes hatten, und ich genoß es, wie er seine Sprüche klopfte, und hätte ihn am liebsten zurückgehalten,

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