Das Handwerk des Toetens
dem Ausbruch erschöpft, war er in sich zusammengesunken, und als die Kellnerin den Wein brachte, ihn mit übertriebenen Bewegungen entkorkte und eine Serviette um den Flaschenhals band, bevor sie einschenkte und ihn kosten ließ, beobachtete er sie teilnahmslos und kam gar nicht auf die Idee, mit mir anzustoßen, schüttete statt dessen das erste Glas, ohne abzusetzen, in sich hinein.
Ich fürchte, ich habe ihn dann selbst noch einmal auf Lilly angesprochen. Das war alles andere als geplant, und ich weiß nicht mehr, wie ich darauf gekommen bin, war ich doch erleichtert gewesen, als er endlich aufgehört hatte, über sie herzuziehen. Obwohl ich ihn fragte, kann ich nicht einmal behaupten, daß es mich sonderlich interessiert hätte, ob Allmayer in der Grazer Zeit oder danach überhaupt eine Verbindung zu ihr gehabt hatte, aber natürlich gab er mir bereitwillig Auskunft.
»Ich weiß nicht, ob sie sich noch oft gesehen haben, seit sie auseinander waren«, sagte er. »Er ist mir gegenüber nur einmal auf die Briefe zu sprechen gekommen, die sie ihm geschrieben hat.«
Daran war noch nichts Außergewöhnliches, und ich merkte erst, als er fortfuhr, daß es wieder auf eine Attacke gegen sie hinauslief.
»Es waren offenbar keine Briefe an ihn.«
Das festzustellen, schien ihm ein Genuß zu sein.
»Wenn es stimmt, was er mir anvertraut hat, sind es eher Briefe an die Nachwelt gewesen«, folgte auch schon seine spöttische Erklärung. »Er hat gesagt, daß er bei ihnen nie ganz das Gefühl losgeworden ist, sie habe bereits beim Schreiben an eine kleine, feine Edition gedacht.«
Anders konnte er allem Anschein nach nicht über sie sprechen, und ich bereute es, ihn wieder an sie erinnert zu haben, als er damit anfing, wie sehr Allmayer ihre Sorgen manchmal auf die Nerven gegangen seien, wenn er aus Kroatien zurückgekommen war und eines ihrer auch für die Privatkorrespondenz verwendeten Kuverts mit dem offiziellen Aufdruck ihrer Autorenvereinigung in seiner Post gefunden hatte und darin die immer gleichen Bedenken, die er schon kannte.
Das alles habe nichts mit ihm zu tun gehabt, keine Frage, wie er selbst zurechtkam, ob er in Gefahr gewesen war oder wie er damit lebte, wenn rund um ihn tagtäglich Leute umgebracht wurden und er nichts dagegen tun konnte, kaum eine Antwort auf seine Versuche, etwas aus der normalen Welt zu erfahren, wie er sich beklagte, was sie gerade las oder ob sie im Theater gewesen war, nur immer gleich aufs Ganze und weit darüber hinaus zielende Plattheiten, die ihr leicht von der Hand gingen. Das Schlachten und Morden müsse ein Ende haben, schrieb sie genau in der schon tausend Mal folgenlos verpufften Formulierung, und er hätte verzweifeln können darüber, wußte nicht mehr, wohin er gehörte, als er das schwarz auf weiß sah, habe nur plötzlich Sehnsucht gehabt, sofort wieder auf die Autobahn zu fahren und zurück, selbst wenn es mitten in die Hölle hinein gewesen wäre. Er sei sich nie weiter weg von zu Hause vorgekommen als in solchen Augenblicken, habe nie mehr Angst gehabt, längst schon so weit gegangen zu sein, daß ein Umkehren nicht mehr möglich war, als wenn er ihre gestanzten Proteste gelesen habe, ihre lauwarmen Ratschläge, und er brauchte sich nur auszumalen, er würde den Flüchtlingskindern in den Lagern sagen, er hoffe auf baldigen Frieden, und sonst nichts, würde die Männer und Frauen vor ihren niedergebrannten Häusern mit den üblichen Klischees abspeisen, ihnen Gewaltlosigkeit predigen oder aus der Ferne empfehlen, keinesfalls zu verzagen, um ihr am liebsten sofort den Mund zu verbieten, so sinnlos kam ihm jedes Wort vor, so leer und so verlogen. Angefangen mit der schreienden Hilflosigkeit, als er einmal ein vielleicht vier- oder fünfjähriges Mädchen ohne Beine in seinem eigenen Blut liegen gesehen hatte, habe er sich bei allen Anfechtungen trotzdem keine Waffe gewünscht, nicht gedacht, seine Tätigkeit sei unnütz, er müsse seine Schreibmaschine gegen ein Gewehr eintauschen, im Gegenteil, er habe immer geglaubt, die zwei Dutzend und zwei Buchstaben des Alphabets waren alles, was er hatte, bis sie ihn dazu brachte, sich dafür zu schämen, wie unbedacht sie damit umgegangen war, wie eitel, und er bei der Vorstellung, daß sie in ihrem Wiener Büro saß, im dritten Bezirk, und neue Poesiealbumssprüche ausheckte, nicht mehr gewußt habe, was richtig und was falsch war.
Die Erregung, in die Paul sich einmal mehr hineingesteigert hatte, war fast schon
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