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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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selbst kaum mehr drei Monate in Graz geblieben, bis sie am Ende des Semesters nach Zürich umgezogen waren, weil seine Frau ein Angebot der dortigen ETH angenommen hatte.
    »Es ist ein langjähriges Forschungsprojekt über die Bewegung der Alpengletscher gewesen«, sagte er, als könnte er nicht glauben, was alles Einfluß auf sein Leben gehabt hatte. »Damit hat sich der Kontakt automatisch verloren.«
    Hinzu kam, daß er von da an die Zeitung nicht mehr las, für die Allmayer seine Reportagen schrieb, aber auch sonst seien die Nachrichten über ihn nur noch spärlich eingetroffen, von gemeinsamen Bekannten aus der Innsbrucker Zeit, in den folgenden Jahren im Grunde genommen nicht mehr, als daß er nach Hamburg gegangen war, wo er seit der Journalistenschule unbedingt wieder hingewollt haben muß, und geheiratet hatte, und natürlich waren es immer neue Orte gewesen, immer neue Todeszonen, von denen er berichtet hatte, nach Bosnien eine endlos scheinende Folge, die mit dem Unglück im Kosovo dann ihren Abschluß fand.
    Die nichtssagende Aufzählung, die Paul herunterleierte, klang fast schon zu flott, ein wild irrlichterndes Zickzack um die halbe Welt, wie wenn ein Katastrophentourist dem anderen zwischen zwei Flügen die besten Gegenden anpries, und es war für mich nur um so verwunderlicher, schon im nächsten Augenblick von ihm zu hören, er habe mit seiner Frau danach kaum mehr über Allmayer gesprochen.
    »Das erste Mal, wo wir es wirklich wieder getan haben, war bei seinem Begräbnis«, sagte er. »Wahrscheinlich wären wir da auch nur schwer um ihn herumgekommen.«
    Banaler hätte es dann gar nicht sein können, und ich wußte nicht, ob ich mir insgeheim nicht genau das erwartet hatte, als er es auf den Punkt brachte, auf den es am Ende offenbar hinauslaufen mußte.
    »Ich habe sie gefragt, ob sie mit ihm geschlafen hat.«
    Es war in dem Lokal gewesen, das sie nach dem Friedhof aufgesucht hatten, einem kleinen, unspektakulären Ausschank, der sich allmählich mit anderen Trauergästen füllte, während sie dort saßen, und ich kann mir gut vorstellen, wie sie reagiert hat, wie pikiert, in einer Mischung aus Geziertheit und Entrüstung, die in einem erstickten Ausruf gipfelte.
    »Das ist doch nicht möglich.«
    Tatsächlich soll sie das ein ums andere Mal wiederholt haben und dabei immer leiser geworden sein, und Paul war sich nicht sicher, ob sie nicht plötzlich Tränen in den Augen gehabt hatte, erinnerte sich dafür aber genau an ihren Hang zur Schwülstigkeit.
    »Der Arme liegt noch keine Stunde unter der Erde, und du hast nichts Besseres zu tun, als mir damit zu kommen«, muß es aus ihr hervorgebrochen sein. »Etwas Geschmackloseres kannst du dir beim besten Willen nicht einfallen lassen.«
    Dabei hatte sie ihre Stimme wieder gehoben, daß rundum alle aufmerksam wurden und er nicht wußte, wohin schauen, und versuchte, ihre Hand zu nehmen und sie zu beschwichtigen, aber sie stieß ihn zurück.
    »Es ist eine richtige Tirade gewesen, die sie mir an den Kopf geworfen hat«, sagte er, offensichtlich immer noch überrascht. »Ich bin gar nicht mehr zu Wort gekommen und habe sie einfach reden lassen.«
    Dann bemerkte er sarkastisch, er habe von einem Punkt an nur mehr gezählt, wie oft sie Christian gesagt hat, um sich jedesmal, wenn der Name gefallen sei, zusammenzunehmen und nicht laut loszulachen, und fragte mich mehrmals hintereinander, ob ich mir vorstellen konnte, daß sie keine Gelegenheit ausgelassen hatte, ihn zu verwenden. Auf mich wirkte das wieder wie ein bloßes Ablenkungsmanöver, ein Schlenker, damit er nicht zugeben mußte, wie sehr er davon getroffen war, aber ich antwortete nicht und tat so, als würde ich nicht merken, wie er mich auffordernd ansah. Etwas an seinem Drängen schien auf eine Absolution zu zielen, ohne daß mir klar gewesen wäre, wovon, einen Freispruch, daß er alles richtig gemacht hatte, den ich ihm nicht geben konnte, und ich fühlte mich um so unbehaglicher, als er sich schließlich immer weiter verstieg, von einer regelrechten Anrufung sprach, in die sie verfallen sei, einer Litanei, und sich dabei keine Mühe gab, sein Pathos wenigstens ein bißchen abzumildern.
    Währenddessen war ich schon die Reeperbahn hinaufgefahren und in die Davidstraße eingebogen und hatte nach ein paar vergeblichen Schleifen schließlich vor dem Tropeninstitut einen Parkplatz gefunden, und da mußte er dann loswerden, seine Frau habe viel älter gewirkt, als er sie in Erinnerung gehabt

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