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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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reservierte, die Tonlage, dachte ich, mit der sie ihm zum ersten Mal gesagt hatte, sie liebe ihn, so nah am Ohr, daß er die Feuchtigkeit ihres Atems spürte und eine Gänsehaut davon bekam. Ich mochte die Heiserkeit, das raspelnde, nasse Geräusch, und die Vorstellung hatte etwas Makaberes und Erregendes zugleich, daß sie jetzt mit mir über ihn sprach, wie sie mit ihm über die vertrautesten Dinge gesprochen hatte, und daß sie das genauso getan hätte, mit der gleichen Wärme, der gleichen Beharrlichkeit und dem gleichen porös schwingenden Unterton, wenn er ums Leben gekommen wäre.
    Ich weiß nicht, warum ich das Gespräch darauf lenkte, daß sie ihn schon so lange kannte, warum ich sie noch einmal danach fragte, wo und wie sie sich kennengelernt hatten, geradeso, als würde ich seine Angaben bezweifeln. Es war nicht, weil ich mich ihm gegenüber etwa schuldig gefühlt hätte, sondern eher, glaube ich, weil mir nichts Besseres einfiel und ich mir außerdem einredete, sie würde nicht merken, wie ich sie fixierte, wenn es die ganze Zeit nur um ihn ging. So bekam ich von allem, was er mir schon überschwenglich erzählt hatte, noch ihre Version zu hören, in ein paar Sätzen und mit einer ganz anderen Gewichtung, weil sie sich fast ausschließlich auf ihre erste Begegnung vor Jahren beschränkte, um am Ende etwas von sich zu geben, was ich seither nicht mehr vergessen habe.
    »Es ist ihm nur um die verlorene Zeit gegangen.«
    Das klang gespreizt, aber sowie sie dann von seiner Schwere erzählte, die ihr als erstes aufgefallen war, als sie ihn so lange danach wiedergesehen hatte, von seiner Schüchternheit und seiner altmodischen Höflichkeit, die sich unter einem manchmal brüsken Verhalten verbarg, glaubte ich zu verstehen, was sie meinte.
    »Er hat nicht aufgehört, sich auszumalen, was gewesen wäre, wenn wir uns nicht aus den Augen verloren hätten«, begann sie von neuem. »Dabei habe ich immer den Eindruck gehabt, er schien gleichzeitig erleichtert zu sein, daß es so war.«
    Ich erinnere mich nicht mehr, ob es bereits da gewesen ist oder erst bei einem unserer späteren Treffen, daß sie sagte, eigentlich war es ihm recht, um seine Jugend betrogen worden zu sein, und ihr zufälliges Wiedersehen war für ihn schon allein deshalb richtig, weil er sich dadurch bestätigt fühlen konnte. So verquer es sich anhören mag, sie vertraute mir an, er sei von Anfang an mit Ausflüchten gekommen, nicht der Richtige für sie zu sein, und sein größter Liebesbeweis wäre, wenn er die Finger von ihr ließe. Das war so abstrus, daß sie es sich sicher nicht ausgedacht hatte, aber ich kann nicht sagen, daß ich mich sonderlich dafür interessierte, waren es nach allem, was ich von ihm wußte, doch nur Allmachtsphantasien, die seiner Feigheit entsprangen, sich nicht ohne Rückversicherung auf sein Leben einzulassen, der kleinliche Größenwahn von einem, der erst gar nicht antrat, hinter der Bühne wartete, bis das Spiel aus war, und, wenn alle in ihrem Blut lagen, hervorkroch und scheinheilig reklamierte, es hätte mit ihm in der Hauptrolle wohl auch nicht schlechter geendet.
    Es war auf jeden Fall an diesem Nachmittag, daß ich sie gefragt habe, ob sie überhaupt eine Ahnung davon hatte, wie er sie nannte.
    »Vielleicht solltest du es auch gar nicht wissen«, fing ich noch einmal an, als keine Antwort kam, und verrannte mich in meiner Ungeschicktheit nur noch weiter. »Am besten vergißt du das Ganze gleich wieder.«
    Obwohl sie es zu verbergen versuchte, entging mir nicht, daß sie zusammenzuckte. Sie hatte vor sich hingeschaut, über die Wiese, in Richtung Wasserturm und Planetarium, und als sie sich mir zuwandte, sah ich, wie ihr Blick zuerst weich wurde und sich dann verhärtete. Die Mundwinkel hatte sie hochgezogen, aber was ironisch hätte wirken sollen, verrutschte zu einem unentschiedenen Ausdruck halb ängstlichen, halb herausfordernden Abwartens, der mich vollkommen für sie einnahm, so verletzlich und so schroff erschien sie mir auf einmal.
    Da war es ohne Zweifel ein Fehler, daß ich mich dann doch noch dazu hinreißen ließ, das Wort auszusprechen, und ich wußte es im selben Augenblick, weil sie so schnell darauf reagierte.
    »Todesengel«, wiederholte sie. »Todesengel.«
    Sie war bleich geworden, und ihre Augen hatten einen feucht schimmernden Glanz angenommen, als sie es mit einer quälend langsamen Handbewegung wegwischte.
    »Wenn es nichts Schlimmeres ist.«
    Dann lachte sie, verschluckte sich und fing

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