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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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als er sich schließlich doch in Bewegung setzte. Es war schon zu einem richtigen Ritual geworden, dieser Abgang, und ich vergaß für ein paar Augenblicke, wie wenig fest er auf dem Boden stand, als ich sah, daß er bei jedem Schritt in den Knien nachgab, sich immer wieder nach mir umdrehte und die Hände in die Luft warf, wie wenn er mich verscheuchen wollte. Auf seinem Hinterkopf hatte ich zum ersten Mal eine helle, durchscheinende Stelle entdeckt und, obwohl es mir wie etwas Obszönes vorgekommen war, nicht aufgehört, darauf zu starren, einen kleinen Fleck, den ich noch zu sehen glaubte, als die Entfernung dafür längst schon zu groß sein mußte.
    Ich habe Paul danach vor seiner unglücklichen Fahrt Richtung Süden noch mehrere Male getroffen, doch es war nie mehr so gewesen wie an diesem Tag, ich hatte nie mehr so lange mit ihm über Allmayer gesprochen. Daran gemessen waren es vielleicht unergiebige Verabredungen, aber ich kann nicht sagen, daß ich unglücklich war, von dem Thema loszukommen und mich mit ihm statt dessen über etwas ganz und gar Belangloses zu unterhalten oder auch nur zuzuhören, wie er sich die bevorstehenden Wochen manchmal ausmalte, als wäre er ein Tourist wie jeder andere. Bei allen Plänen, die er hatte, schien er nicht mehr unentwegt an seinen Roman zu denken, was ihm gut bekam, obwohl er sich nichtsdestotrotz verzettelte, kaum hatte er irgendwo seine Jugoslawienkarte, wie er sagte, ausgebreitet, und ich erinnere mich, daß es oft genug ich war, der ihn bremste und mit einer kleinen Bemerkung die Verbindung zum Krieg wiederherstellte, wenn er allzu sehr ins Schwärmen geriet. Allein für die Anreise hatte er sich mehrere Routen überlegt, wie aus einem Zettel hervorgeht, den ich aufbewahrt habe, und ich weiß noch, daß er seine Entscheidung bis zum letzten Augenblick umstoßen konnte, um seine Vorfreude zu erhöhen, sich wieder und wieder fragen, ob er von Zagreb über das Hinterland nach Dalmatien fahren sollte oder die Küstenstraße hinunter, oder ob es nicht vielleicht überhaupt am besten wäre, in Rijeka die Fähre zu nehmen oder vom Festland auf die Insel Cres überzusetzen und dann von Mali Lošinj weiter nach Zadar.

Drittes Kapitel

TRAUMSTRASSEN IN JUGOSLAWIEN

Bevor ich von Pauls Unfall erfuhr, war der Sommer fast schon vorbei. Ich wußte, daß er zwei Wochen in Kroatien bleiben wollte, und als er sich danach nicht bei mir meldete, machte ich mir nichts daraus und kam auch, nachdem ich ihn ein paar Mal vergeblich anzurufen versucht hatte, nicht auf die Idee, es könnte ihm etwas passiert sein. Vielleicht war er noch nicht zurück oder ausnahmsweise einmal so sehr beschäftigt, daß er keine Zeit für mich hatte, sagte ich mir, und dann fuhr ich selbst für ein paar Tage weg, mit der Englandfähre nach Harwich, wie ich es lange vorgehabt hatte, und von dort nach London und Wales, und dachte nicht mehr an ihn, bis ich wieder zu Hause war.
    Es muß ein Freitagnachmittag gewesen sein, im Stadtpark, einer der Tage, an denen ich ziellos herumlief, schon merkbar in Panik vor dem hereinbrechenden Wochenende, als ich schließlich am Rand einer Wiese stehen blieb, wo gerade ein Fußballspiel in Gang kam. Die Tore waren mit je zwei im Gras liegenden T-Shirts markiert, aber es stimmt, ich interessierte mich nicht für das Hin und Her, beobachtete nur die beiden Frauen, denen der Ball, wann immer es ging, von den buchstäblich mit heraushängender Zunge um sie herumhechelnden Männern zugespielt wurde und sofort ihr Gejohle entgegenschlug, sowie sie ihn berührt hatten. Ich weiß, ich hätte weitergehen sollen, wenn ich nicht in diese heillose Mischung aus Abscheu und Sehnsucht verfallen wollte, in der ich mich dann unweigerlich fragte, was mit mir falsch war, aber es hatte mich schon gepackt, ich kam nicht mehr los und setzte, wie um mir selbst das Gegenteil zu beweisen, ein Lächeln auf, das nicht anders als idiotisch gewirkt haben kann.
    Ausgerechnet da rollte der Ball vor meine Füße, und bevor ich ihn zurückschießen konnte, kam eine der beiden Spielerinnen angerannt, in der ich trotz des ungewöhnlichen Aufzugs, ihrer Trainingshose und der Schildkappe, die sie gerade abnahm, endlich Helena erkannte. Die Arme in die Hüften gestützt, stand sie vor mir, und ich fühlte mich ertappt, als sie ihre Überraschung zum Ausdruck brachte, sagte das Naheliegendste, daß es ein Zufall war, und sah abwechselnd an ihr herunter und nach den anderen auf dem Feld, die ihre Blicke auf uns

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