Das Handwerk des Toetens
hatte, ganz im Widerspruch, wie mir schien, zu allem, was ihm vorher zu ihr eingefallen war.
Darauf folgte die obligatorische Pause, und erst dann kam unvermittelt der Schluß, der mir zuerst den Atem verschlug.
»Wahrscheinlich muß ich froh sein, daß sie mich weggeschickt hat«, sagte er, als wäre er allein. »Ich würde es nicht aushalten, sie sterben zu sehen.«
Es war noch zu früh gewesen, am Spielbudenplatz zuzuschauen, wie die Sonne unterging, aber überrumpelt, wie ich war, vertraute ich ihm an, wie sehr ich es mochte, dort zu stehen, wenn das Licht allmählich schwächer wurde. Vielleicht lag es an dem Geruch, der von der nahen Brauerei kam, daß ich ihn am liebsten an der Hand gepackt hätte und mit ihm die zwei oder drei Blocks weiter gegangen wäre, um vor dem Theater zu warten, bis irgendwo die ersten erleuchteten Fenster aufblinkten, während der Himmel gegen Westen noch von einem geradezu überirdischen, milchigen Blau war, aber statt es zu tun, redete und redete ich nur, als müßte ich verhindern, daß er noch einmal zu Wort kam. Ob er mich für einen sentimentalen Narren hielt oder nicht, ich erzählte ihm von der Sehnsucht, die mich packte, wenn selbst die heruntergekommensten Straßen eine schmerzhafte Sanftheit ausstrahlten, die niedrigen Bauten darin plötzlich etwas Vorläufiges hatten, wie die schnell hochgezogenen Fassaden einer bald wieder vom Abriß bedrohten Westernstadt, und die elendsten Spelunken ein Versprechen waren, ein Anhaltspunkt, wenn nicht mehr, bevor die Dunkelheit endgültig hereinbrach.
Ich weiß nicht, wie lange wir im Auto sitzen geblieben sind, und ob er mir überhaupt zugehört hat, aber es war mir gelungen, ihn zum Schweigen zu bringen. Als ich ihm ein Café in der Hafenstraße vorschlug, nickte er nur, und ich erinnere mich, wie er dann einen halben Schritt hinter mir ging und sich neben mich an einen der Tische im Freien setzte und auf die Docks hinunterschaute und das Gewirr der Ladekräne, ihre Tentakel, die scheinbar direkt in den wie sich in Auflösung befindlichen Himmel griffen. Wir waren die einzigen Gäste, und die Kellnerin hatte gerade erst begonnen, die vom Regen noch nassen Stühle abzuwischen, und brachte uns Decken, und ich glaube, ich durchschaute ihn, als er ganz gegen seine Gewohnheit, und ohne mich zu fragen, eine Flasche Weißwein bestellte, es ging ihm mehr um den Kübel, den er dazu verlangte, das Klimpern des Eises darin, ein paar Requisiten, die ihm ein Bild vervollständigten, von dem nicht einmal sicher war, ob er sich am Ende wünschte, es wäre wirklich.
»Vielleicht sollte ich eine Romanszene hier ansiedeln«, begann er dann auch prompt. »Das wäre ohne Zweifel ein bißchen plakativ, aber dagegen würde mir schon etwas einfallen.«
Ich wußte, er konnte nicht anders, und wollte mir das trotzdem nicht mehr mitanhören, um so weniger, als ich längst vorausgesehen hatte, daß es dazu kommen würde.
»Eine Romanszene?«
Ich war selbst überrascht, wie wütend mich das machte.
»Du sitzst mit mir zusammen und überlegst dir, ob das für eine Romanszene taugen könnte«, sagte ich. »Kannst du dir vorstellen, daß ich nicht unbedingt erbaut davon bin?«
Darauf reagierte er mit einer unwilligen Handbewegung, als langweilten ihn derartige Bedenken nur, und meinte spöttisch, es fehlte nicht viel, und ich würde reden wie seine Frau.
»Sie hat immer gesagt, ich wäre nicht imstande, etwas wahrzunehmen, solange ich es nicht geschrieben vor mir habe«, mokierte er sich über sie. »Vielleicht stimmt das sogar, aber ich weiß nicht, warum ihr so viel daran gelegen war, daraus eine Anklage zu machen.«
Dann schaute er sich ostentativ um und hörte nicht auf zu schwärmen, wie schön die Welt doch war, geradeso, als müßte er sich selbst beweisen, daß er es konnte, wenn er nur wollte, fing stets von neuem damit an, machte eine weit ausholende Geste über den Horizont wie einer, der sprachlos nach Luft schnappte, und ließ mich am Ende nicht aus den Augen, unsicher, wie ich es aufnahm. Es war nicht kalt, aber er hatte sich in seine Decke gewickelt und noch einen Stuhl herangezogen, auf den er die Füße legte, und saß jetzt wie ein Sanatoriumspatient da, nur daß sein Blick nicht ein Blick über ein Bergpanorama war und mir kaum entgehen konnte, daß er auf jedes Geräusch lauschte, das vom Hafen heraufdrang und für ein paar Augenblicke den Verkehrslärm von der nicht einsehbar unten am Wasser verlaufenden Straße überdeckte. Wie von
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