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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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gerichtet hatten und darauf warteten, daß sie sich von mir losriß. Das Haar war ihr ins Gesicht gefallen, und sie strich es mit langsamen Bewegungen zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn, während ich auf die feinen Tröpfchen auf ihren nackten Schultern starrte und mich wunderte, daß sie mich zunächst wieder gesiezt hatte wie bei unserer ersten Begegnung, sich dann aber übergangslos korrigierte.
    Das Spiel dauerte nur mehr ein paar Minuten, und als ich mich danach mit ihr etwas abseits von den anderen ins Gras setzte und sie nach Paul fragte, wollte sie zuerst nicht glauben, daß ich noch nichts von ihm gehört hatte.
    »Viel hat nicht gefehlt, und es hätte ihn erwischt«, sagte sie, wie wenn sie sich von der Tatsache nur nicht anrühren lassen wollte. »Er kann froh sein, daß er am Leben geblieben ist.«
    Sie war noch ganz außer Atem, und während sie davon sprach, daß er mehr als drei Wochen auf der Intensivstation gelegen war, hatte ich nur Augen dafür, wie sie sich ihre Schuhe auszog und die Socken abstreifte und dann ausgestreckt, auf die Ellbogen gestützt, mit bloßen Füßen dalag. So penibel sie alles aufzählte, ich hätte mich wahrscheinlich gleich danach schon nicht mehr zu erinnern vermocht, was ihm genau fehlte, aber es klang schauderhaft, Serienrippenbrüche mit einem Pneumothorax und Herzrhythmusstörungen, beide Beine zertrümmert und der Unterkiefer gebrochen, um nur den Anfang zu machen, führte sie doch Punkt für Punkt an und nahm dabei sogar ihre Finger zu Hilfe. Es war paradox, sie sagte, er hatte dies, er hatte das, und ich schaute abwechselnd in ihr Gesicht und auf den schmalen Streifen schweißglänzender Haut zwischen ihrem verrutschten Leibchen und ihrer Hose, sie brachte ihre Befürchtung zum Ausdruck, es würde Monate dauern, bis er wiederhergestellt war, und ich ließ meinen Blick über ihre Arme streifen, die Schultern entlang über die deutlich hervortretenden Schlüsselbeine und den Nacken hinauf und merkte erst an ihrem plötzlichen Schweigen, daß sie mich ansah.
    »Wir waren in Zagreb verabredet«, sagte sie, als könnte sie noch immer nicht glauben, daß er dort nicht aufgetaucht war. »Ich bin nicht mit ihm gefahren, um mir die mühsame Strecke zu ersparen, aber er hätte mich am Flughafen abholen sollen.«
    Offenbar hatte sie mehr als zwei Stunden auf ihn gewartet und dann ein Taxi in die Stadt genommen, in das Café am Jelačić-Platz, das sie aus einem Reiseführer als Ersatztreffpunkt vereinbart hatten, und war erst richtig unruhig geworden, als die Dunkelheit hereinbrach. Sie hatte nicht einmal eine Telephonnummer von ihm gehabt und, als sie gegen Mitternacht voller Sorgen in einem Hotel gelandet war, noch nichts gewußt, tatsächlich erst am folgenden Morgen von seiner Mutter, die sie zu guter Letzt ausfindig gemacht hatte, alles erfahren. Gleich darauf war sie schon im Zug gesessen, Richtung Salzburg, um ihn noch am selben Nachmittag in der Klinik zu besuchen, wo sie aber nicht weiter als bis zur Tür zu seinem Zimmer vorgelassen wurde und nur den Monitor über dem Bett gesehen hatte, von dem sie den Blick sofort wieder weglenkte, als könnten die Ausschläge seiner Herzkurve sonst plötzlich abflachen.
    Das waren die Fakten, die sie aufzählte, wie wenn es darum ginge, ein möglichst genaues Protokoll all ihrer Schritte zu erstellen, und ich unterbrach sie erst, als sie auch noch anfing, mit den Uhrzeiten herumzujonglieren, und sich von den unwichtigsten Kleinigkeiten überlegte, ob sie davor oder danach gewesen waren.
    »Du brauchst dir doch keine Vorwürfe zu machen«, beschwichtigte ich sie automatisch. »Wie du es auch drehst und wendest, es ist nicht deine Schuld.«
    Sie schien sich nicht entschließen zu können, ob sie nicken oder den Kopf schütteln sollte, und heraus kam ein kaum merkliches Zittern.
    »Ich hätte ihn nicht allein lassen dürfen.«
    Das klang wie eine Entschuldigung dafür, selbst mit heiler Haut davongekommen zu sein, und so absurd es war, es half nichts, daß ich ihr widersprach, sie ließ nicht mit sich reden und wiederholte nur ein ums andere Mal denselben Satz.
    »Vielleicht wäre es dann nicht passiert.«
    Ohne darauf einzugehen, lauschte ich, wie sie dabei die Luft hörbar einsog und ein paar Silben verschluckte, und dachte daran, daß Paul gerade davon immer geschwärmt hatte. So, wie er sich darüber auslassen konnte, mußte er in solchen Augenblicken wohl glauben, es war die Stimme, die sie nur für ihn

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