Das Handwerk des Toetens
Schädel ein«, setzte sie nach. »Je besser er sich ausgekannt hat, um so weniger scheint er ihnen zugetraut zu haben, ihre Probleme allein lösen zu können.«
Wenn ich mich richtig erinnere, war er noch fast ein Dutzend Mal dort gewesen und jedesmal enttäuscht nach Hause gekommen, so festgefahren schien für ihn alles zu sein, ein paar Minarette, ein paar Kirchtürme, die prächtiger denn je aus den Ruinen erstanden, als ginge es zuallererst um die Symbole, und sonst tat sich seiner Meinung nach nicht viel, wie sie sagte, bis er begann, öfter und öfter ins Kosovo zu fahren, wo sich die Situation immer mehr zuspitzte.
Das ließ mich aber nicht aufhorchen, genauso wenig wie die Tatsache, daß sie selbst dabei gewesen war, als er einen Kommandanten der Aufständischen in der Schweiz getroffen hatte, einen Exilalbaner, der ihm ausgerechnet in einem Terrassencafé am Ufer des Vierwaldstätter Sees in seinem holprigen Deutsch Rede und Antwort stehen sollte, sondern die zufällige Begegnung mit einem alten Bekannten ein paar Monate davor auf der Insel Hvar.
Gewesen war das angeblich im Frühsommer, Allmayer gerade von einer seiner Reisen aus Priština zurück, als er sich bei der Zwischenlandung in Split entschlossen hatte, die erste Fähre zu nehmen und für zwei oder drei Tage dorthin zu fahren, und sie brauchte nur zu erwähnen, es habe sich dabei um einen von ihm im Krieg interviewten Kämpfer gehandelt, den er wiedergesehen hatte, daß ich sofort an Slavko dachte und an sein Gespräch mit ihm in Ostslawonien.
Bevor ich aber etwas sagen konnte, hakte Paul schon nach, und seine Stimme war vor Aufregung ganz hell, als sie nicht sofort antwortete und er sie noch einmal drängen mußte.
»Ich weiß nicht mehr, wie er geheißen hat«, erwiderte sie schließlich. »Wenn ich mich nicht täusche, soll er seinen Namen aber ohnehin geändert haben.«
Ich hatte die ganze Zeit gefürchtet, daß er sich irgendwann bei ihr nach Lilly erkundigen würde, sie fragen, wie es für sie gewesen war, als die Gnädige bei Allmayers Begräbnis die trauernde Witwe gespielt hatte, aber jetzt war ich mir sicher, daß er keinen Gedanken daran verschwendete, so besessen schien er von einem Augenblick auf den anderen zu sein, herauszufinden, wer der Mann wirklich war, von dem sie erzählte, er sei im Hauptort der Insel vor einem Hotel als Alleinunterhalter für die Gäste aufgetreten.
»Angeblich war er nur in der Reisesaison dort«, kam sie ihm entgegen, als sie merkte, daß er nicht lockerlassen würde. »Er stammte in Wirklichkeit aus Slavonski Brod.«
Das hatte Allmayer vom Wirt erfahren, und als Paul sie fragte, ob er sich auch mit ihm selbst unterhalten hatte, sagte sie ja, aber sie wisse nicht, worüber, erinnerte sich nur daran, daß er zu Hause dann erzählt haben mußte, wie beängstigend es für ihn gewesen war, ausgerechnet in einer Urlaubsumgebung auf jemanden zu stoßen, mit dem er Jahre davor darüber gesprochen hatte, wie er sich fühle, wenn er, den Finger am Abzug, einen Menschen im Visier erscheinen sah.
Ich schaute Paul an, und er nickte in einem fort, während er nicht müde wurde, zu betonen, daß es sich für ihn nur um den Kerl handeln konnte, den Allmayer im ersten Kriegsjahr an der serbisch-kroatischen Front aufgesucht hatte.
»Wer soll sonst in Frage kommen?«
Daß ich nicht antwortete, beirrte ihn nicht.
»Ohne Zweifel muß es er gewesen sein«, redete er sich immer weiter hinein. »Schließlich ist es genau das, womit er bei seinem Interview am meisten geprotzt hat.«
Isabella wartete, ob noch etwas von ihm kommen würde, bevor sie damit herausrückte, daß es eine Kassette mit einer Aufnahme davon gab, um ihn dann gleich zu vertrösten, als er danach fragte.
»Wahrscheinlich befindet sie sich immer noch in dem Schließfach, das er mir einmal gezeigt hat«, sagte sie. »Ich habe es bis heute nicht über mich gebracht, sie mir anzuhören.«
Es war, als suchte sie selbst eine Erklärung dafür.
»Die schriftliche Fassung ist ja bekannt.«
Mir fiel auf, wie müde sie auf einmal wirkte, geradeso, als wollte sie sich mit solchen Dingen nicht mehr herumschlagen, während sie die Lampe neben sich ein- und gleich wieder ausknipste. Es war schnell dunkler geworden, und ich wandte meinen Blick nicht von ihrem Gesicht ab, einer hellen, fast glänzenden Fläche in der zunehmenden Dämmerung. Das Haus war noch immer vollkommen still, auch von der Straße kamen keine Geräusche, und ich mußte gegen den Gedanken
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