Das Handwerk des Toetens
bemühte, unberührt davon zu bleiben, ihre Stimme fiel plötzlich ab, sie räusperte sich, und die Art, wie sie dasaß, wollte nicht zu ihr passen, die Beine übereinandergeschlagen, die Arme auf der Sofalehne weit nach beiden Seiten ausgestreckt.
»Er schien froh zu sein, endlich jemanden gefunden zu haben, dem er sich anvertrauen konnte«, sagte sie. »Der Frieden muß ihn noch einsamer gemacht haben, als er es davor wahrscheinlich schon gewesen ist.«
Der Gedanke daran, wie er ihr mit irgendwelchen Greuelgeschichten in den Ohren gelegen war, stieß mich ab, und so lächerlich das klang, ich hätte sie am liebsten gefragt, ob er nichts Besseres mit ihr zu tun gewußt hatte. Ich hörte ihr nur mehr halb zu und dachte, was für eine Verschwendung, was für eine Anmaßung, wenn es stimmte, was sie über sein dunkles Monologisieren erzählte, das immer nur ein Ende bedeutete, und dabei hätte es ihr Anfang mit ihm sein können, ihr Leben, wo er ausschließlich vom Tod sprach. Auf einmal wurde mir bewußt, wie jung sie noch war, und ich versuchte vergeblich, eine Vorstellung von den paar Jahren zu bekommen, die sie zusammen gehabt hatten, so sehr stand ihre Behauptung dagegen, daß es ihm von ihren ersten gemeinsamen Stunden an allein darum gegangen war, Zeit zu überbrücken, einen Tag zu überstehen, eine Woche, einen Monat, bis er wieder in ein Krisengebiet geschickt wurde und, sobald er zurückkam, alles von neuem begann. Es mußte auch für sie kaum zu ertragen gewesen sein, wenn ihm alles unwichtig erschien, sie konnte ihr Studium beenden, ihre Arbeit im Café aufgeben und eine Praktikantenstelle in einer Anwaltskanzlei antreten oder was auch sonst immer tun, es hieß nichts, war verglichen mit dem, was er erlebt hatte, eine Nichtigkeit, wie ich mir sagte, auch wenn er eine geradezu reißende Sehnsucht nach einem normalen Alltag gehabt haben mochte, ihr vielleicht sogar von Kindern vorgeschwärmt hatte, einem Haus auf dem Land oder sonst einem Hirngespinst, das wenigstens ein gewisses Vertrauen auf Dauer vorausgesetzt hätte, einen Glauben daran, daß ihm nicht jederzeit alles aus den Händen gerissen werden konnte.
Sie brauchte gar nicht zu betonen, daß er kaum Bekannte gehabt hatte, und ich wußte nicht, was damit anfangen, als sie erzählte, daß er ein- oder zweimal im Monat mit drei arbeitslosen Lehrern, auf die er über ein Inserat gestoßen war, in einem Probekeller irgendwo in Wandsbek Musik gemacht haben soll. Ich versuchte, ihn mir vorzustellen, wie er auf seiner elektrischen Gitarre herumgehackt hatte, allem Anschein nach mit Sonnenbrille und einer viel zu warmen Wollmütze auf dem Kopf, bis die Luft im Raum zu zittern schien, und sah ihn reglos, wie im Lärm ertrunken, dastehen. Es war so naheliegend, dabei an das Donnern des Krieges zu denken, daß ich schwieg, und auch Paul sagte nur, er würde jetzt besser verstehen, warum er einem seiner letzten Artikel den Titel Das Rauschen der Engel gegeben hatte, in Anspielung auf das an- und abschwellende Grollen von einmal sichtbar, einmal hinter einer Wolkendecke verborgen hoch am Himmel dahinziehenden Bombern.
»Ich habe nicht gewußt, daß er in einer Band gespielt hat«, fuhr er fort, und es klang beleidigt. »Wenn ich es mir überlege, paßt das aber zu ihm.«
Als hätte er genug von ihren Geschichten, schien er erleichtert zu sein, das Gespräch für ein paar Augenblicke ins mehr Private ziehen zu können.
»Hat er eigentlich noch sein Motorrad gehabt?«
Darauf nickte Isabella nur, und als sie merkte, daß er wartete, ob noch etwas kommen würde, reagierte sie zuerst nicht und winkte dann ab.
»Ich habe ihn nie damit fahren gesehen«, sagte sie schließlich, aber offensichtlich bedrückte es sie, darüber zu sprechen. »Er muß einmal gestürzt sein, als ich ihn noch nicht gekannt habe, und seither hat er es wohl nicht mehr angerührt.«
Während sie wieder verstummte, sah Paul mich an, wie wenn er etwas falsch gemacht hätte. Ich ahnte, daß er am liebsten noch einmal in seine alten Erinnerungen verfallen wäre und es sich nur verbiß, weil sie so abweisend war. Er mied ihre Blicke, doch es entging mir nicht, wie er sich tief in sein Fauteueil zurücksinken ließ, als sie sich übergangslos fragte, ob es nicht auch an Allmayer selbst gelegen sein mochte, wenn er immer betonte, daß der Frieden in Bosnien kein Frieden war.
»Er hat gesagt, sobald man die Leute dort nur einen Augenblick allein läßt, schlagen sie sich sofort wieder die
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