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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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beabsichtigte, nichts an sich heranzulassen, zu viele Anekdoten, die gar nicht so grau sein konnten, als daß sie nicht doch etwas Funkelndes gehabt hätten, und ich erinnere mich noch, wie ich mir vergeblich auszumalen versuchte, daß sie neben ihm im Bett gelegen war und er eine haarsträubende Episode nach der anderen zum besten gegeben hatte. Vielleicht war der Grund dafür mein eigenes Vorurteil, von dem ich nicht loskomme, meine festgefahrene Idee, er hätte sicher geschwiegen, wenn ihm alles so zugesetzt hatte, wie sie behauptete, sich nur an sie geschmiegt und nichts gesagt oder zusammenhanglos ein paar Sätze, und wenn sie eine Verbindung zwischen ihnen herstellte, verpufften sie ins Leere.
    Ich horchte erst auf, als sie meinte, es sei immer der menschliche Faktor gewesen, der alles besonders grausam gemacht hatte, und dann davon sprach, daß Allmayer am Ende die Parallelwelten einfach nicht mehr ausgehalten habe.
    »Er hat gesagt, entweder man ist ganz im Krieg oder gar nicht«, war die Erklärung, die sie folgen ließ. »Auf engstem Raum beides zu sehen, hat ihn verwirrt.«
    Danach brachte sie auch schon ein Beispiel, erzählte, er habe sich immer wieder darüber aufgeregt, daß im kroatischen Fernsehen zur Zeit der letzten Bedrohung der Hauptstadt ausländische Seifenopern mit Untertiteln und der ständigen Einblendung Generalalarm Zagreb gelaufen seien, und sah uns dabei abwechselnd an.
    »Solche Dinge haben es für ihn unerträglich gemacht.«
    Deswegen sei er auch kaum mehr in der Stadt gewesen, seit dort die Sandsäcke verschwunden waren, sich auf den Dächern keine Geschützstellungen mehr fanden und auf der Straße Leute den Ton angaben, die der Krieg emporgeschwemmt hatte, Unterweltler mit ihren lächerlichen Flittchen, wie sie sagte, und wenn schon nicht mehr, war das seine Abwehr gegen eine Art Normalität, mit der er nicht zurechtkam, obwohl es zu Hause manchmal noch schlimmer gewesen sei und es nur einen winzigen Anlaß brauchte, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.
    »Es hat alles sein können, und er ist in ein stundenlanges Monologisieren verfallen und manchmal fast nicht mehr zu beruhigen gewesen.«
    Am liebsten kaprizierte er sich dabei auf die treuherzigsten Verseschmiede unter den Schriftstellern, die im Rahmen von irgendwelchen Kulturprogrammen in Horden aus den europäischen Hauptstädten in die neu entstandenen Länder einfielen, auf der Terazije in Belgrad, auf dem Jelačić-Platz in Zagreb oder vor einer Moschee in der Baščaršija von Sarajevo saßen und sich die Sonne auf die Bäuche scheinen ließen, als wäre nie etwas geschehen, oft weltfremde Träumer und aufgeblasene Funktionäre in einem, und verglich sie ohne weiteres mit den Gesellen, die vor den ersten Schüssen ihre Völker zu ihrer finsteren Bestimmung erweckt hatten, nannte sie einmal sogar ihre Brüder im Geiste. So übertrieben es war, er scheute sich nicht, ihre Elaborate neben das Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften zu stellen, dem allenthalben die verheerende Wirkung eines Sprengsatzes zugeschrieben worden war, ihre schmächtigen Gedichtbände mit geschmäcklerischen Titeln wie Out of Bosnia oder Crying for Srebrenica an die Seite der düsteren Schrift, als wäre das ein und dasselbe, als gäbe es keinen Unterschied zwischen der vorherigen Hetze und dem nachträglichen Kitsch, als hätten sie sich mit ihren ebenso harmlosen wie läppischen Ergüssen, in denen sie das kleine, friedliebende Muslimvölkchen der Bosnier verherrlichten, nicht weniger schuldig gemacht als andere mit den blutrünstigsten Oden. Er zerlegte ihre Reiseberichte, kaum daß sie erschienen waren, bis ins Detail, ließ nichts davon gelten, belustigte sich darüber, daß jeder Splitterstaat seinen Wirrkopf als Fürsprecher hatte, und endete immer mit der Irrfahrt eines deutschen Girlies, das er die letzte Kraft-durch-Freude-Touristin nannte, einer höheren Tochter aus Berlin, die im Rahmen eines Praktikums für eine Fernsehanstalt blind durch die ehemaligen Kampfgebiete gezogen war und sich darüber in einem kopf- und besinnungslosen Hauptsatzstakkato verbreitete, eine verrannte Romantikerin, die es für das größte Abenteuer hielt, wenn sie unter freiem Himmel auf die Straße pinkelte und mit ihrem Hund in jede Minenabsperrung absichtlich hineintappte, um dann aller Welt per SMS direkt vom Ort des Geschehens mitteilen zu können, in welcher Gefahr sie sich befand.
    Wenn es darum ging, wie man über die schlimmsten

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