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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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nicht einfach so dahergeplappert, wie er es damals womöglich getan hat.«
    Ich zögerte nicht lange mit meiner Antwort.
    »Deswegen bringt er doch niemanden um.«
    Es klang naiv, und dementsprechend reagierte er auch, zog eine Augenbraue hoch und fixierte mich, wie um den spöttischen Ton, den er anschlug, um so mehr zu genießen.
    »Sicher möchte er lieber nicht wiedererkannt werden«, sagte er. »Es würde schon Sinn machen, wenn er auf einen alten Bekannten nicht wirklich gut zu sprechen wäre.«
    Auf einmal schien er an etwas ganz anderes zu denken.
    »Ich hoffe, er läuft mir nicht davon.«
    Dann sah er mich lange an, bevor er eine Erklärung nachschob, als hätte er sich eigentlich erwartet, daß ich sie ihm lieferte.
    »Er wäre nicht der erste, der untergetaucht ist.«
    Ich war mir nicht mehr sicher, ob er von einer realen Person sprach. Es hatte etwas von einer Pflichtübung, daß er glaubte, mich involvieren zu müssen, war ein Akt der Selbstvergewisserung, oder ich hatte wenigstens den Eindruck, wie wenn es manchmal keinen anderen Grund für ihn gäbe, die Geschichte immer weiter zu spinnen, als den, ihr zuzugehören, ein Teil von ihr zu sein. Vielleicht tat ich ihm unrecht, aber mir kam es vor, er dachte, je mehr Spuren er legte, um so gewisser führten sie irgendwohin, je mehr er sich im Kreis bewegte, um so sicherer konnte er sein, daß ein Zentrum existierte, oder er würde mit seinem Hin und Her irgendwann eines erzeugen.
    Es war ein absurdes Geplänkel, das leere Herumspekulieren seinerseits, das nichts erklärte, gefolgt von meinen Zweifeln, und ich habe bis heute keine Ahnung, was er an dem Tag von mir eigentlich wollte. Am ehesten muß es ein Anfall von Sentimentalität gewesen sein, unsere Treffen wieder aufzunehmen, mit der gleichen Selbstverständlichkeit Zeit zusammen zu verbringen wie im vergangen Frühjahr, aber ich bin mir nicht sicher. Zumindest wußte ich nicht recht, was mit ihm tun, war froh, als ich ihn zur Tür bringen konnte, und wenn ich mich richtig erinnere, ging mir dabei der Gedanke nicht aus dem Kopf, wie wenig wir uns zu sagen hätten, wäre nicht immer wieder Allmayer ein dankbares Thema, das uns miteinander verband.
    Ich weiß nicht, ob er etwas gemerkt hat, aber ich habe dann nichts mehr von ihm gehört, bis er tatsächlich mit Helena nach Kroatien fuhr, nicht auf einer der Routen, die er sich so lange überlegt hat, sondern über Italien. Es gibt ein Photo von ihnen, aufgenommen unmittelbar vor der Fährenüberfahrt von Ancona nach Split, wo sie auf einem Parkplatz an einer Leitplanke lehnen und sie, in einem hellblauen, ärmellosen Kleid und Badeschlapfen, einen Arm um seine Schultern gelegt hat, ein Bild, auf das meine erste Reaktion eine vage Sehnsucht gewesen ist, ein Stich irgendwo zwischen den Rippen, der sich bis in die linke Achsel hinaufzog. Vielleicht lag es daran, daß ich sein Gesicht sonst nie so entspannt gesehen habe, seinen Blick geradezu übermütig auf den Fernfahrer gerichtet, den sie gebeten hatten, die Aufnahme zu machen, an der Bestimmtheit, mit der sie ihn festhielt, oder auch nur daran, daß es Abend war, die Sonne tiefstehend und ein Licht, das schon verging, ich konnte jedenfalls meine Augen nicht von ihnen abwenden und hatte dabei das Gefühl, selbst immer mehr zu verschwinden.
    Es muß eine seltsame Reise gewesen sein, nach allem, was ich davon weiß, eine Fahrt kreuz und quer durch das Land auf Allmayers Spuren, mit gelegentlichen Abstechern nach Bosnien oder ans Meer, und allein wenn ich an die Postkarten denke, von denen sie mir fast jeden Tag eine geschickt haben, mit seinem scheinbar immer mehr nach rechts kippenden »P« und dem weit ausschwingenden Schriftzug ihres Namens, kann ich nur den Kopf darüber schütteln, was für Strecken sie dazwischen manchmal zurückgelegt hatten. Oft genug handelt es sich um die üblichen Ansichten, ein malerischer Ort in einer geradezu schmerzhaft schön verlaufenden Bucht, eine Insel in der untergehenden Sonne, eine Häusergruppe mit pittoresk abblätterndem Putz, daß ich mich frage, warum sie keine anderen genommen haben, und es bleiben nur zwei oder drei, die davon auf den ersten Blick abweichen. Das sind auch diejenigen, die ich mir immer wieder angesehen habe, obwohl sie von ihnen vielleicht genauso zufällig ausgesucht worden sind wie die übrigen, das an einem Kai liegende weiße Schiff mit der Aufschrift Proleterka auf seinem Bug, der Bahnhof von Zagreb und Kaiser Franz Joseph vor der Kathedrale

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