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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Augenblicke meine Hand, und ich glaube, ihre Antwort war der Grund, warum ich später am Abend so leichtsinnig wurde.
    »Ich habe mir als Kind immer vorgestellt, im Dunkeln einfach verschwinden zu können, und wenn es wieder hell würde, wäre die Welt nicht mehr da.«
    Daran dachte ich noch, als wir nach dem Essen alle zusammen wartend dasaßen, Pauls Telephon klingelte, seine Frau dran war und er Helena zunickte, während er aufstand. Er ging zum Sprechen hinaus, und ich sah, wie er gestikulierend vor dem Fenster auf und ab lief, sich manchmal aus dem Licht, das nach draußen fiel, entfernte, um gleich darauf um so erregter wieder darin aufzutauchen, beobachtete ihn, während sie keine Notiz von ihm nahm. Ab und zu blickte er auf seine Uhr, und dann vergewisserte auch ich mich, wie spät es war, bis sie lächelnd meinen Blick auffing und mein Handgelenk mit ihrer Serviette zudeckte und ich mich wie ein Kindskopf gebärdete und ihr sagte, daß ich sie liebte. Es kam auch für mich unerwartet, aber als ich ihren Gesichtsausdruck sah und nicht zu entscheiden vermochte, ob er amüsiert oder gequält war, wiederholte ich es, so verzweifelt es auch klingen mochte.
    »Du solltest dich hören«, erwiderte sie lachend. »Mit deinem Schmachten könntest du einem richtigen Schmalzbruder Konkurrenz machen.«
    Zum ersten Mal sagte sie dabei meinen Namen, und obwohl ich das mochte, war ich erleichtert, als Paul wieder eintrat. Sein Gesicht schien gerötet, und während er auf sie zuging, fixierte er mich, als hätte er alles mitbekommen. Ich wich seinen Blicken aus, ließ dann aber sie nicht aus den Augen, als er sie umarmte und sie mich wie ein Unschuldsengel über seine Schulter hinweg ansah.

Viertes Kapitel

MISS SLAVONSKI BROD

In den Wochen darauf ließen die beiden kaum etwas von sich hören, und weil wegen einer Grippewelle in der Redaktion immer Leute fehlten, war ich ohnehin so sehr beschäftigt, daß ich mich selbst auch nicht meldete. Sie nahmen sich in der Schlankreye zusammen eine Wohnung, sagten das angekündigte Einweihungsfest aber kurz vorher, ohne einen Grund anzugeben, wieder ab, und auch ich zog um, von Altona nach St. Pauli, und lud sie zu mir ein, und sie saßen einen Abend lang, Salzstangen knabbernd, wie wenn sie am Verhungern wären, eng nebeneinander auf dem noch nicht ausgerollten Futon und kriegten sich nicht mehr darüber ein, daß ich meine Möbel weggegeben hatte, bis auf einen Tisch und einen Stuhl, und auch die Bücher nicht mehr aufstellen wollte, sie in Bananenschachteln im Keller lagerte, ohne mir vorstellen zu können, daß ich sie irgendwann wieder hervorholte. Es war das erste Mal, daß sie mir wie ein Paar mit einer richtigen Zukunft erschienen, so, wie sie sich an den Händen hielten, und ich hätte ihnen jede Ankündigung zugetraut, aber der einzige Plan, mit dem sie dann herausrückten, war, einen neuen Anlauf zu nehmen, endlich nachzuholen, was sich durch den Unfall zerschlagen hatte, und zu Ostern gemeinsam in den Süden zu fahren.
    Als Paul ein paar Tage später in die Redaktion kam, dachte ich, er hätte einen besonderen Grund und absichtlich einen Vormittag ausgesucht, an dem auch ich wieder da wäre. Er hatte sich nicht angekündigt und wirkte unsicher, stand herum, bis ich ihm einen Platz anbot, und bedankte sich dann übertrieben, bevor er sich setzte. Wie bei seinem ersten Besuch trug er einen der Anzüge, die Helena ihm aufgeschwatzt hatte, und er schien unschlüssig zu sein, ob er die obersten zwei Knöpfe seines Hemdes auf- oder oder zumachen sollte, weil er die ganze Zeit nervös daran herumspielte.
    »Ich bin in der Gegend gewesen und habe gedacht, ich lasse mich wieder einmal blicken«, sagte er. »Sonst vergißt man hier noch, wie ich aussehe.«
    Vielleicht hatte es deshalb auch vom ersten Augenblick an etwas Überdrehtes, als er dann gleich noch einmal auf Allmayers zufällige Begegnung mit Slavko zurückkam, und obwohl ich mich nicht mehr daran erinnere, was ihn dazu gebracht hat, weiß ich noch genau, zu welchem abstrusen Schluß er gelangt ist.
    »Das könnte sein Todesurteil gewesen sein.«
    Offensichtlich ging er wieder einmal nicht von den Tatsachen aus, sondern davon, was er daraus machen würde, und er gefiel sich auch noch darin.
    »Ein Interview, das jemand während eines Krieges gegeben hat, hört sich ein paar Jahre später unter Umständen doch ganz anders an«, sagte er, ohne seinen Sarkasmus zu verbergen. »Da könnte ihm lieber sein, er hätte vieles

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