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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Katastrophen berichten sollte, habe ihm keiner mehr etwas recht machen können, aber statt sich möglichst fernzuhalten, hatte er auf alles ein Auge, sah sich wohlmeinende Ausstellungen mit Photos von halbverhungerten Häftlingen an und tobte, wie schick sie in Szene gesetzt waren, sei einmal sogar auf die Bühne gestürzt, als ein Film zur Vorführung kam, in dem die letzten Bilder eines erschossenen Kameramanns gezeigt wurden, verwackelte Aufnahmen von geduckt dahinstürmenden Soldaten, über denen in der Luft lautlos und fast putzig anzusehen weiße Wölkchen explodierten, dann nichts, nur Dunkelheit, aus nächster Nähe eine Grasnabe, wieder nichts, ein Schwarz, das schon endgültig schien, und schließlich der Himmel, ein nervös flimmerndes Blau. Hilflos, wie er war, habe er in einem fort Schuldige gesucht, und dafür schien ihm jeder recht, ob es die beiden Historiker in einer Diskussionsrunde betraf, der eine aus Serbien, der andere aus Kroatien, die, gefragt, was eigentlich der Unterschied zwischen ihren Sprachen war, ein paar schreckliche Augenblicke lang in ein polterndes Englisch verfielen, wie wenn sie sich sonst nicht verstehen würden, und danach um eine Antwort verlegen waren, oder die Narren, die ihnen dabei sekundierten, sogenannte Balkankenner, deren ganzes Expertentum, wenn man ihm glauben konnte, darin bestand, daß sie in schlabbrigen Sakkos und verbeulten Hosen auftraten, eine gewisse Trinkfestigkeit zeigten und einen monströsen Schnurrbart kultivierten, als wäre das der Sitz ihrer Seele, Gastgeber, die slawischer sein wollten als ihre Gäste, was auch immer das hieß, in ihrer stolz zur Schau gestellten Verkommenheit aber nicht einmal Karikaturen von ihnen abgegeben hätten, sondern ein einzige Groteske. Ob er wußte, wie ungerecht er war, oder nicht, er habe nicht anders können, als sich über all die vergeblichen Bemühungen den Mund zu zerreißen, sei oft so weit gegangen, nicht einmal die wirkliche Hilfe gelten zu lassen, und sein Lieblingsspruch war allem Anschein nach, selbst die Fütterungen der Ärmsten in den eingeschlossenen Gebieten in Ostbosnien hätten über die Jahre doch kaum mehr gebracht als die Gewißheit, daß wenigstens ein paar Todeskandidaten, von einer Granate zerfetzt, mit vollem Bauch starben.
    Offensichtlich hatte Isabella seine Verachtung übernommen, so, wie sie darüber sprach, und als Paul sagte, es sei doch besser gewesen, irgend etwas zu tun, als untätig zuzuschauen, sah sie ihn an wie einen Nachhilfeschüler, der seine Hausaufgaben gemacht hatte, und nickte auf eine Weise, die ich nicht von ihr erwartet hätte, vernichtend gnädig.
    »Vielleicht haben Sie recht.«
    Bis dahin war es ihm gelungen, sein Nuscheln zu kaschieren, aber auf einmal verhaspelte er sich bei jedem Wort, und er mußte mehrmals dazu ansetzen, bis er endlich hervorbrachte, es sei allerhand, was sie da über Allmayer erzählt habe.
    »Ich hätte ihm so viel Zynismus gar nicht zugetraut.« Für sie war das wie eine Bestätigung.
    »Da kennen Sie ihn aber schlecht.«
    Sie stellte die Tassen auf das Tablett zurück, auf dem sie den Tee serviert hatte, drehte sich nach der Schnapskaraffe auf dem Beistelltischchen neben dem Sofa um, die mir bereits beim Hereinkommen aufgefallen war, und schenkte ein. Es hatte etwas Feierliches, als sie ihr Glas hob, und ich fürchtete schon, sie würde sich zu einem Trinkspruch hinreißen lassen. Dann prostete sie uns aber nur zu, und als sie weitersprach, hatte ich den Eindruck, sie wollte eine unangenehme Sache möglichst schnell hinter sich bringen.
    »Er hat immer behauptet, man kann dem Krieg nur gerecht werden, wenn man sowohl auf die banalsten als auch auf die scheußlichsten Details eingeht«, sagte sie. »Sonst ist es für ihn rein akademisch gewesen, darüber zu reden, ein bloßes Geplänkel, das zu immer neuen Mißverständnissen führt.«
    Da überraschte es mich nicht, sie dann auch mit der größten Selbstverständlichkeit aussprechen zu hören, er habe die ewigen Fragen nach einer Begründung längst satt gehabt, als sie ihn kennenlernte, die einmal naiven, einmal nur rhetorisch gemeinten Erkundigungen, wie alles geschehen hatte können.
    »Für ihn war das müßig, wenn jederzeit ein Fremder an die Tür klopfen konnte und einen mit vorgehaltener Pistole auffordern, seinen Nachbarn umzubringen.«
    Tatsächlich habe er damals auf sie gewirkt, als hätte er lange nicht mehr darüber gesprochen, was ihn eigentlich bewegte, aber so sehr sie sich auch

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