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Das Harvard-Konzept

Das Harvard-Konzept

Titel: Das Harvard-Konzept Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Fisher
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Die ägyptischen Interessen lagen auf dem Gebiet der Souveränität. Der Sinai war seit der Pharaonenzeit ein Teil Ägyptens gewesen. Nach langer Herrschaft von Griechen, Römern, Türken, Franzosen und Engländern hatte Ägypten erst vor kurzer Zeit wieder die volle Souveränität erlangt und war daher nicht bereit, Territorium an einen neuerlichen fremden Eroberer abzugeben.
    In Camp David stimmten der ägyptische Präsident Sadat und der israelische Premierminister Begin einem Plan zu, nach dem der Sinai vollständig in ägyptische Souveränität zurückgegeben wurde und dennoch, durch weiträumige Entmilitarisierung, auch die israelische Sicherheit gewährleistet war. Die ägyptische Flagge sollte danach überall wehen, aber ägyptische Panzer würden Israel an keiner Stelle nahe kommen.
    Werden die Interessen statt der Positionen zur Übereinstimmung gebracht, so hilft das in zweierlei Hinsicht. Erstens kann für gewöhnlich jedes Interesse durch mehrere mögliche Positionen befriedigt werden. Viel zu oft nehmen die Menschen die ungünstigste Position ein – wie zum Beispiel Israel durch die Ankündigung, es wolle Teile des Sinai behalten. Blickt man aber entschieden hinter die gegensätzlichen Positionen und erkennt die treibenden Interessen, dann findet man oft eine alternative Position, die nicht nur die Interessen der einen, sondern auch die der anderen berücksichtigt. Im Sinai war die Entmilitarisierung eine derartige Alternative.
    Darüber hinaus ist der Ausgleich von Interessen nützlicher als |72| jeder Positionskompromiss, weil es trotz gegensätzlicher Positionen in aller Regel mehr gemeinsame als gegensätzliche Interessen gibt.
    Hinter gegensätzlichen Positionen liegen sowohl gemeinsame und ausgleichbare Interessen als auch sich widersprechende
    Wir nehmen meist an, dass die Gegenseite aufgrund ihrer gegensätzlichen Position auch gegensätzliche Interessen hat. Wenn wir ein Interesse an Selbstverteidigung haben, unterstellen wir den anderen, dass sie uns angreifen wollen. Wenn wir ein Interesse an Mietnachlass haben, nehmen wir an, dass sie eine Erhöhung wollen. Doch bei vielen Verhandlungen wird eine nachdrückliche Untersuchung der zugrunde liegenden Interessen die Existenz von mehr gemeinsamen als von einander widersprechenden Interessen offenbaren.
    Ein Beispiel: Die gemeinsamen Interessen eines Mieters mit seinem künftigen Vermieter.
Beide wünschen Stabilität. Der Vermieter möchte einen dauerhaften Mieter; dieser wiederum eine feste Adresse.
Beide möchten, dass das Appartement gut in Schuss gehalten wird. Der Mieter will darin wohnen können; dem Vermieter liegt daran, den Wert der Wohnung zu steigern.
Beide wollen gute Beziehungen nach allen Seiten. Der Vermieter wünscht einen Mieter, der seine Miete pünktlich bezahlt; der Mieter möchte einen verantwortungsbewussten Vermieter haben, der die notwendigen Reparaturen ausführen lässt.
    Darüber hinaus haben beide unter Umständen Interessen, die nicht im Gegensatz zueinander stehen, aber unterschiedlicher Natur sind. Etwa:
Der Mieter ist vielleicht gegen die neue Farbe allergisch. Der Vermieter hat keine Lust, alle Zimmer noch mal streichen zu lassen.
Der Vermieter wünscht eine Vorauszahlung auf die erste Miete, und zwar schon morgen. Der Mieter hält das Appartement für |73| eine schöne Wohnung, ist aber unschlüssig, ob er die Vorauszahlung schon morgen zahlen soll oder erst später.
    Wirft man nun diese teils gemeinsamen, teils unterschiedlichen Interessen in die Waagschale, müsste man mit den gegensätzlichen, wie etwa der Mietminderung oder -steigerung, eigentlich zurechtkommen. Die gemeinsamen Interessen werden sich vielleicht in einem langjährigen Mietvertrag ausdrücken, einer Übereinkunft zur Kostenübernahme bei Verschönerungen und in dem Bestreben, einander im Interesse guter Beziehungen weiterzuhelfen. Die divergierenden Interessen könnten dadurch ausgeglichen werden, dass schon morgen eine Vorauszahlung erfolgt und der Vermieter die Wohnung streichen lässt, unter der Voraussetzung, dass der Mieter die Kosten trägt. Der genaue Mietpreis bleibt dann als Letztes, und hier kann der Marktwert der Wohnung die Basis dafür abgeben.
    Oft ist eine Übereinkunft gerade deshalb möglich, weil die Interessen unterschiedlich sind. Sie und der Schuhverkäufer etwa haben beide Geld und Schuhe gern. Beim Verkäufer überwiegt die Liebe zum Geld. Bei Ihnen ist es umgekehrt. Sie möchten lieber die Schuhe als Ihre 70 Euro. Also

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