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Das Harvard-Konzept

Das Harvard-Konzept

Titel: Das Harvard-Konzept Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Fisher
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andere, bessere Vorgänge behindern?
Stimmt die Handlung mit unseren Prinzipien überein? Ist sie »richtig«?
Könnte ich die Entscheidung auch später treffen, wenn ich wollte?
    Bei diesem gesamten Prozess darf man aber niemals nach allzu großer Präzision suchen. Das wäre ein Fehler. Sie werden es nur selten mit jemandem zu tun bekommen, der seine Entscheidung nach schriftlich fixierten Pros und Kontras trifft. Sie sollten vielmehr das Ganze als ganz und gar menschliches Suchen und Wählen betrachten – und nicht als eine Art mathematischer Kombination.
    |78| Erkennen Sie, dass beide Seiten vielfältige Interessen haben
    Bei nahezu jeder Verhandlung haben die Beteiligten nicht nur ein Interesse, sondern mehrere. Bei der Verhandlung über einen Mietvertrag geht es Ihnen zum Beispiel um einen vorteilhaften Preis, den Sie schnell und mit möglichst geringer Mühe fixieren wollen. Dabei sollen aber auch die guten Beziehungen zum Vermieter erhalten bleiben. Außerdem geht es Ihnen nicht nur darum, dass die Übereinkunft ganz nach Ihrem Geschmack aussieht, sondern auch darum, dass sie wirkungsvoll ist. Sie sollten deshalb Ihre eigenen selbstständigen Interessen gleichzeitig mit dem gemeinsamen Anliegen verfolgen.
    Ein weit verbreiteter Fehler bei der Diagnose von Verhandlungssituationen ist die Annahme, dass alle Personen auf der Gegenseite dieselben Interessen haben. Denn das ist faktisch niemals der Fall. Während des Vietnamkrieges warf Präsident Johnson gewöhnlich alle die verschiedenen Mitglieder der nordvietnamesischen Regierung, den Vietcong aus dem Süden sowie ihre sowjetischen und chinesischen Berater in einen Topf, und das Ganze nannte der Präsident dann »er«. »Der Feind muss wissen, dass
er
die Vereinigten Staaten nicht ungestraft reizen kann.
Er
muss erkennen, dass sich Aggression nicht auszahlt.« Nun kann man aber einen solchen »er« (oder auch eine »sie«) schwerlich zu Übereinkünften bewegen, wenn man die unterschiedlichen Interessen der daran beteiligten Leute und Fraktionen nicht richtig einschätzt.
    Mitunter mag es durchaus erhellend sein, wenn man sich Verhandlungen so vorstellt, als seien daran nur zwei Personen oder zwei Seiten beteiligt. Aber das sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass normalerweise andere Personen, andere Seiten und andere Einflüsse vorhanden sind. Bei der Verhandlung über die Ablösesumme eines Fußballstars bestand der Manager darauf, dass 1 Million Euro zu viel seien, obwohl andere Vereine für vergleichbare Fälle ebenso viel gezahlt hatten. Tatsächlich wusste der Manager, dass seine Position unhaltbar war, aber er hatte strikte Anweisung seines Clubs, ohne |79| weitere Begründung bei seiner Behauptung zu bleiben, denn der Verein hatte Geldsorgen, die man nicht an die Öffentlichkeit dringen lassen wollte.
    Jeder Verhandlungspartner hat Hintermänner, auf deren Interessen er Rücksicht nimmt – Interessen seines Arbeitgebers, seiner Klienten, seiner Angestellten, seiner Kollegen, seiner Familie, seiner Frau. Will man die Interessen des Verhandlungspartners erkennen, so bedeutet dies auch, dass man die Vielfalt durchaus unterschiedlicher Interessen verstehen muss, die der Partner berücksichtigen muss.
    Die wichtigsten Interessen sind die menschlichen Grundbedürfnisse
    Bei der Suche nach den Grundinteressen, die sich hinter den Positionen verbergen, sollten Sie besonders auf das achten, was grundsätzlich alle Menschen motiviert. Wenn Sie sich um solche Grundbedürfnisse kümmern, vermehren Sie die Chancen, einerseits zu einer Übereinkunft zu gelangen, andererseits, dass die erreichte Zustimmung dann auch von der Gegenseite eingehalten wird. Menschliche Grundbedürfnisse sind vor allem:
     
Sicherheit
wirtschaftliches Auskommen
Zugehörigkeitsgefühl
Anerkanntsein
Selbstbestimmung
     
    Diese Grundbedürfnisse sind fundamental – und trotzdem leicht zu übersehen. Oft haben wir bei Verhandlungen den Eindruck, dass nur finanzielle Interessen im Spiel sind. Auch wenn es tatsächlich vor allem um Geldfragen geht, wie etwa bei der Höhe von Unterhaltszahlungen bei der Ehescheidung, kann viel mehr dabei mitwirken. Was will die Ehefrau wirklich, wenn sie 5   000 Euro im Monat |80| haben möchte? Natürlich möchte sie vor allem finanziell abgesichert sein, aber was spielt noch mit? Möglicherweise möchte sie den Betrag auch, um sich seelisch sicher zu fühlen. Vielleicht braucht sie ihn auch, um sich anerkannt zu sehen: dass sie fair behandelt wird und

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