Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Harvard-Konzept

Das Harvard-Konzept

Titel: Das Harvard-Konzept Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Fisher
Vom Netzwerk:
Wunsch mitzumachen provozieren.
    Oft hilft es, wenn man mitunter auf
einer
Seite des Tisches sitzt und den Vertrag, die Landkarte oder das weiße Blatt Papier – die Ursache des Problems, wie auch immer – gemeinsam vor sich hat. Haben Sie schon vorher eine Grundlage gegenseitigen Vertrauens gefunden, um so besser. Aber wie schwierig Ihre Beziehungen auch sein mögen – versuchen Sie die Verhandlung so zu führen, dass sich die |68| Aktivitäten Seite an Seite abspielen: Sie beide – mit all Ihren unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen und Ihrem emotionalen Engagement – gehen miteinander eine gemeinsame Aufgabe an.
    Man kann natürlich die menschlichen Probleme von den Sachfragen nicht ein für allemal trennen und die Angelegenheit dann vergessen. Man muss daran weiterarbeiten. Man muss die Menschen stets als Lebewesen und all den damit verbundenen Inhalten betrachten. Womit wir zum nächsten Kapitel kommen.

|69| Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen
    Zwei Männer streiten in einer Bibliothek. Der eine möchte das Fenster offen haben, der andere geschlossen. Sie zanken herum, wie weit man es öffnen soll: einen Spalt weit, halb, dreiviertel offen. Keine Lösung befriedigt beide.
    Die Bibliothekarin kommt herein. Sie fragt den einen, warum er denn das Fenster öffnen möchte. »Ich brauche frische Luft.« Sie fragt den anderen, warum er das Fenster lieber geschlossen hat. »Wegen der Zugluft.« Nach kurzem Nachdenken öffnet sie im Nebenraum ein Fenster weit. Auf diese Weise kommt frische Luft herein, ohne dass es zieht.
    Um vernünftige Ergebnisse zu erzielen, muss man die Interessen, nicht die Positionen in Einklang bringen
    Diese kleine Geschichte ist typisch für viele Verhandlungen. Solange sich beiderseits das Problem als Konflikt zweier Positionen darstellt und das Ziel die Einigung auf eine Position ist, denken und reden natürlich alle vorwiegend über diese Positionen – und der Prozess stockt darum auch sehr oft.
    Hätte sich die Bibliothekarin nur auf die Positionen eingelassen, sie hätte sicher keine Lösung gefunden – denn nach Angabe der Männer sollte das Fenster ja
entweder
offen
oder
geschlossen sein. Stattdessen suchte die Bibliothekarin nach den dahinter stehenden Interessen – |70| frische Luft einerseits, Vermeidung von Zugluft andererseits. Dieser Unterschied zwischen Positionen und Interessen ist entscheidend.
    Das Problem wird durch Interessen bestimmt
    Das Grundproblem bei einer Verhandlung liegt nicht in gegensätzlichen Positionen, sondern im Konflikt beiderseitiger Nöte, Wünsche, Sorgen und Ängste. Die beiden Parteien sagen beispielsweise:
    »Jetzt muss mit der Preissteigerung für dieses Haus aber endlich Schluss sein.«
     
    Oder:
    »Wir akzeptieren nicht. Er möchte 620   000 Euro für das Haus. Ich möchte aber keinen Pfennig mehr als 600   000 Euro dafür ausgeben.«
    Das tiefer liegende Problem aber ist:
    »Er braucht das Bargeld. Und ich möchte endlich Ruhe und Frieden haben.«
     
    Oder:
    »Er braucht wohl 620   000 Euro, damit er seine Ex-Frau auszahlen kann. Ich meinerseits habe meiner Familie versprochen, nicht mehr als 600   000 Euro auszugeben.«
     
    Solche Wünsche und Sorgen sind
Interessen.
Interessen motivieren die Menschen; sie sind die stillen Beweggründe hinter dem Durcheinander von Positionen. Ihre Position ist etwas, zu dem Sie sich bewusst entschieden haben. Ihre Interessen sind die Gründe, die Sie zu dieser Entscheidung veranlasst haben.
    Die ägyptisch-israelischen Friedensverhandlungen in Camp David 1978 zeigen, wie nützlich ein Blick hinter die Positionen sein kann. Israel hatte die ägyptische Sinai-Halbinsel seit dem Sechstagekrieg von 1967 besetzt. Als sich Ägypten und Israel 1978 zu Friedensverhandlungen zusammensetzten, waren ihre Positionen unvereinbar. |71| Israel bestand darauf, Teile des Sinai zu behalten. Ägypten andererseits hielt daran fest, dass jeder Zollbreit des Sinai ägyptischer Souveränität zurückgegeben werden müsse. Immer wieder suchte man nach möglichen Teilungsschemata zwischen Israel und Ägypten am Sinai. Aber ein Kompromiss auf dieser Linie war für Ägypten unannehmbar. Zurückzuweichen zur Lage, wie sie vor 1967 bestand, kam wiederum für Israel nicht infrage.
    Möglich wurde eine Lösung erst, als man sich auf die Interessen beider Staaten konzentrierte. Israels Interessen galten der Sicherheit: Sie wollten keine jederzeit einsatzbereiten ägyptischen Panzer an ihrer Grenze sehen.

Weitere Kostenlose Bücher