Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
wandte sich ihr unter vernehmlichem Klirren wieder zu. »Was glaubst du, was mit dir passiert, wenn er genug von dir hat?«
Sie hob die Schultern. »Wenn Otto darüber entscheidet, mache ich mir keine Sorgen.«
»Verflucht … du kennst diesen Kerl doch überhaupt nicht!«
Ihr Mund zuckte, als habe sie Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. »Oh doch, Bruder. Glaub mir.«
»Aber ihr könnt kein Wort miteinander reden.«
»Er lernt Slawisch. Und es gibt außerdem Dinge, die man auch ohne Worte weiß. Was glaubst du, warum sie dich zufriedenlassen und meistens sogar höflich zu dir sind? Weil er dafür sorgt.«
»Ich verzichte auf sächsische Höflichkeiten!«
»Aber was meinst du, würde passieren, wenn …« Sie brach ab, weil ein Schatten auf den Zelteingang fiel.
Im nächsten Moment wurde die Felldecke zurückgeschlagen und Udo trat ein. Dragomira war trotz ihrer Haarwäsche vollständig bekleidet und hatte sich ein Tuch um den Kopf geschlungen; dennoch ließ der sächsische Soldat den Blick über ihre Gestalt gleiten, als sei sie splitternackt. Dann nickte er Tugomir zu, und seine Miene wurde finster. »Komm mit. Du wirst gebraucht.«
Mit einem Mal spürte Tugomir sein Herz in der Kehle pochen. Es konnte nur einen Grund geben, warum die Sachsen einen Übersetzer brauchten. »Ist die Burg gefallen?«
Udo schenkte ihm ein abscheuliches Triumphlächeln. »Das kannst du laut sagen, Söhnchen. Was ist jetzt? Kommst du, oder muss ich dir erst Beine machen?«
Vor zwei Tagen hatte Tauwetter eingesetzt, und die gefallene Burg von Jahna war eine Wüstenei aus Schlamm. Davon abgesehen, sah sie genauso aus wie die gefallene Brandenburg: die Palisaden geschwärzt, die Tore geborsten, die Häuser der Vorburg niedergebrannt. Totes Federvieh und ein paar Hundekadaver lagen auf der zertrampelten Erde, aber bis auf plündernde, betrunkene Sachsen sah Tugomir keinen Menschen in der Vorburg.
Das änderte sich, als sie durch das zersplitterte Tor in die Hauptburg kamen. Gefallene daleminzische Krieger lagen vereinzelt im Schlamm, andere auf einem Haufen nahe dem Brunnen.
König Heinrich saß auf seinem stämmigen Pferd, flankiert von seinen Söhnen, die Halle des Daleminzerfürsten im Rücken. Gut drei Dutzend seiner gepanzerten Soldaten hatten die Bewohner von Jahna zusammengetrieben: Die Zahl der Männer, die den Fall der Burg überlebt hatten, schätzte Tugomir auf fünfzig. Sie waren mehrheitlich verwundet und natürlich alle entwaffnet. Mit grimmigen Mienen standen sie da im eisigen Schlamm, enger beieinander als normalerweise üblich, eigentümlich reglos. Zwei von ihnen hatten feine Punktlinien auf die Handrücken tätowiert, genau wie Tugomir. Unwillkürlich sah der sich nach dem Tempel um, doch er konnte keinen entdecken. Vielleicht lag er hinter der Halle. Vielleicht auch in einem magischen Hain außerhalb der Einfriedung, so wie das Triglav-Heiligtum auf dem Harlungerberg über der Brandenburg, wo Tugomir als Priesterschüler viele Monate verbracht hatte. Er klappte den Daumen der Rechten ein und legte die vier verbliebenen Finger auf sein Herz, um den beiden Priestern den Segen der Großen Götter zu wünschen. Sie erwiderten den Gruß.
Ein paar Schritte entfernt von dem Knäuel aus Gefangenen stand eine wesentlich größere Gruppe: die Frauen mit ihren Kindern – ebenfalls bewacht. Die meisten weinten leise, und das war kein Wunder. Keine der Frauen war verschont geblieben. Ihre zerrissenen Kleider wären gar nicht nötig gewesen, um ihm das zu zeigen. Man sah es in ihren Augen.
Udo stieß Tugomir unsanft zwischen die Schultern und brachte ihn zu seinem König.
Aus luftigen Höhen sah Heinrich auf seine Geisel hinab. »Ah, da bist du ja endlich, Togimur.«
»Tugomir«, verbesserte dieser.
Udo schlug ihn auf den Hinterkopf. »Halt’s Maul.«
»Von mir aus, Tugomir«, fuhr der König ungeduldig fort. »Kennst du den Fürsten der Daleminzer?«
»Ja.«
»Welcher ist es?«
Tugomir wies zum Brunnen hinüber. »Er liegt da vorn mit gespaltenem Schädel.«
»Bist du sicher? Woher kennst du ihn?«
»Er kam letzten Mittsommer auf die Brandenburg, um sich unter meinen Basen eine neue Frau auszusuchen. Ich bin sicher.«
Der König brummte. »Na schön. Jetzt hör mir gut zu, mein Hevellerprinzlein: Ich brauche dich heute nicht als Übersetzer, sondern als Zeugen. Ich will einen Zeugen, dem alle Slawen glauben werden, wenn er berichtet, was er gesehen hat. Verstehst du?«
»Ich fürchte, ja.«
Heinrich
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