Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
geklammert hatte.
Er sah Gero wieder ins Gesicht und bündelte seine Kräfte, um irgendetwas zu sagen, das den Grafensohn so unbeschreiblich beleidigen würde, dass er den Übeltäter einfach töten musste , wie etwa: Ich küsse dein Schwert, wenn du mir den Schwanz lutschst .
Doch Prinz Thankmar kam ihm zuvor: »Gero, sei so gut und lass unsere Geisel heil. Ich denke, für heute ist hier genug Blut geflossen.«
Sein jüngerer Bruder Otto wandte den Kopf und sah ihn an, offenbar überrascht.
Der König wendete sein Pferd und kehrte der grausigen Stätte den Rücken, als gingen die zwei-, dreihundert Leichen ihn überhaupt nichts an. »Tu, was der Prinz sagt, Gero«, befahl er fast zerstreut über die Schulter. »Lass unsere kleinen Sklaven zusammentreiben und ins Lager bringen. Und du …« Im Vorbeireiten nickte er Tugomir zu. »Du hütest fortan deine Zunge, sonst befreien wir dich davon und schicken sie deinem Vater als erste Rate. Ich nehme an, du hast jetzt begriffen, was aufsässige Slawen von mir zu erwarten haben, nicht wahr?«
Magdeburg, Juni 929
»Man kann es schon richtig sehen«, stellte Otto fest. Er legte die Hand auf Dragomiras gewölbten Bauch und runzelte konzentriert die Stirn. »Da! Ich hab etwas gespürt!« Er sah sie an, und seine blauen Augen leuchteten.
Dragomira nahm seine freie Hand und zog ihn neben sich auf die Bank hinab. Sie war froh, als er die Linke dabei auf ihrem Bauch ruhen ließ. Seine Hände waren rau vom Reiten und Fechten, aber meistens sanft, wenn sie sie berührten. Dragomira deutete es als Ausdruck seiner Wertschätzung, dass er sie immerzu anfassen musste. Ihre Kindheit war nicht gerade reich an Liebkosungen gewesen. Umso mehr wusste sie Ottos zu schätzen.
»Es tritt«, erklärte sie ihm. »Nachts ist es am schlimmsten. Aber die Hebamme sagt, das sei … ist ganz normal. Ein gutes Zeichen, denn es beweist, dass das Kind gesund und lebhaft ist.«
»Wie schnell du unsere Sprache gelernt hast, meine slawische Prinzessin …« Otto zog sie ein wenig näher, drückte die Lippen seitlich auf ihren Hals und nahm dann behutsam ihr Ohrläppchen zischen die Lippen.
»Auf jeden Fall besser als du die unsere, mein sächsischer Prinz«, gab sie zurück und sah sich verstohlen um.
Sie saßen auf der Flussseite der großen Pfalz im Garten, einer kleinen blumenbetupften Grünfläche mit zwei Apfelbäumen. Wenn man hier auf den Wehrgang der Palisade stieg, konnte man auf die Elbe hinabblicken, die gleich am Fuß des steilen Burgfelsens gemächlich dahinfloss, und auf die Furt durch den Fluss, zu deren Schutz diese Burg einst angelegt worden war. Der Garten lag ein Stück abseits der königlichen Halle und war von hölzernen Gebäuden begrenzt, aber Dragomira hatte gelernt, dass man in dieser Königspfalz zu keiner Zeit wirklich unbeobachtet war, und es war nie ratsam, wenn Ottos Mutter oder einer ihrer zahllosen Spione den Prinzen so mit seiner slawischen Gespielin sah.
»Du hast recht«, räumte er ein. »Ich habe noch keine großen Fortschritte gemacht. Dabei wäre es sicher dienlich gewesen, wenn wenigstens einer von uns mit dem böhmischen Fürsten direkt hätte verhandeln können. Zumal wir deinen Bruder ja nicht mit in Prag hatten.«
»Nun, nach allem, was ich höre, sind die Verhandlungen ja auch so recht gut für deinen Vater verlaufen«, gab sie achselzuckend zurück.
Er nickte. »Das kannst du laut sagen. Wir kamen uns schon ein bisschen albern vor, mit einem Heer von Panzerreitern vor die Tore Prags zu ziehen, nur um dann von Fürst Wenzel auf das Herzlichste willkommen geheißen zu werden …«
»War er euch freundlich gesinnt, weil er euren Gott angenommen hat?«, wollte sie wissen.
»Das war es jedenfalls, was wir glauben sollten. In Wirklichkeit hat er wohl einfach eingesehen, dass er besser damit fährt, uns nicht zum Feind zu haben, denn er hat schon genug im eigenen Land. Er hat jedenfalls auf die Bibel geschworen, seine Tributzahlungen in Zukunft nicht wieder zu ›vergessen‹.«
Dragomira dachte einen Moment nach, ehe sie erwiderte: »Ich schätze, er ist ein Mann, der in der Lage ist, auch unangenehme Wahrheiten zu erkennen – zum Beispiel, dass er deinem Vater auf Dauer nicht die Stirn bieten kann. Seltsam. Ich kann nicht gerade behaupten, dass diese Fähigkeit in unserer Familie liegt.«
»Was hat deine Familie damit zu tun?«, fragte Otto verwirrt.
Dragomira betrachtete ihn mit einem nachsichtigen Kopfschütteln. »Das weißt du nicht?
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