Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Wahrheit rauszukriegen, eh ich … eh ich sterbe.« Plötzlich musste er husten, und ein Blutschwall schoss aus seinem Mund. »Oh, verflucht …«
»Schsch«, machte Tugomir. Er ertappte sich dabei, dass er seinen sterbenden Freund sacht wiegte, aber auch nachdem er es gemerkt hatte, hörte er nicht auf.
»Der Mann vor der Kirchentür mit dem Pfeil in der Kehle …« Thankmars Stimme wurde leiser und brüchig. »Er war … mein Kastellan. Würdest du …« Er brach ab und kämpfte um genügend Luft, damit er fortfahren konnte.
»Ich kümmere mich darum. Ein anständiges Begräbnis, ein bisschen Land für seine Witwe und ein Platz bei den Panzerreitern für seine Söhne?«, schlug er vor.
Thankmar nickte. Die Atemnot wurde schlimmer. »Tugomir …«
»Ja?«
»Ich glaub nicht, dass ich es geschafft hätte … Frieden mit Otto zu halten. Aber … ich hätte es versucht.«
»Ich sag es ihm.«
»Und sag Egvina …« Er krümmte sich plötzlich, als sei sein ganzer Oberkörper von einem Krampf befallen. Tugomir legte beide Arme um ihn, damit er ihn besser halten konnte. Thankmar krallte die Hand um seinen Unterarm und keuchte. »Mir fällt nicht ein … was du ihr sagen sollst.«
»Schon gut, Thankmar. Sie weiß es doch ohnehin.«
Thankmar nickte mit geschlossenen Augen. Sein Körper entspannte sich, und die Hand rutschte von Tugomirs Arm. Das Brodeln in der Lunge hatte sich verschlimmert, aber er schien keinen Schmerz mehr zu empfinden. Sein Gesicht wirkte eingefallen und hatte den Grauton angenommen, der Verblutenden zu eigen war. »Abgerechnet … wird zum Schluss«, sagte er und verlor das Bewusstsein.
Tugomir legte zwei Finger an Thankmars Kehle, fand den Puls und wartete, bis er aufhörte zu schlagen. Dann wischte er Thankmar mit dem Ärmel das Blut von Lippen und Kinn und küsste ihm die Stirn. »Die Welt ist dunkler geworden, denn dein Licht am Firmament ist verloschen. Ich klage, denn dein Stern ist verglüht. Möge Veles oder dein Gott dich auf sicheren Pfaden in die andere Welt geleiten.«
Er schob den freien Arm unter die Knie des Toten, kam auf die Füße und trug ihn aus der Kapelle. Erst als er ins Freie trat und sah, wie das Sonnenlicht vor seinen Augen zu Strahlenkränzen zerlief, merkte er, dass er weinte.
Quedlinburg, August 938
»Und was geschah dann?«, fragte Egvina. Ihre Augen waren gerötet und sie war bleich, aber ruhig. Gefasst schien Tugomir nicht das richtige Wort zu sein. Eher kam sie ihm vor wie betäubt.
»Der König war ziemlich erschüttert über den Tod seines Bruders.«
»Erschüttert …«, wiederholte sie. Ihr Blick richtete sich auf einen Punkt irgendwo hinter seiner linken Schulter und wurde vage, als müsse sie über dieses Wort nachsinnen.
Tugomir nickte. »Er schickte Udo, um Maincia festzunehmen, den Kerl, der die Lanze durchs Fenster geschleudert hatte. Aber Maincia hatte sich verdrückt und war nicht aufzufinden.« Ehe er sich in Luft auflöste, war er offenbar durch das Fenster in die verlassene Kapelle eingestiegen und hatte Thankmars goldene Kette vom Altar gestohlen. Aber dieses hässliche kleine Detail ersparte er Egvina. »Der Besatzung der Eresburg und Thankmars übrigen Männern, die sich ergeben hatten, schenkte Otto das Leben, aber die Franken, die Widerstand geleistet hatten, ließ er da und dort aufhängen.«
»Umgekehrt wäre es gerechter gewesen«, befand Egvina. »Wenigstens sind die Franken ihrem Herrn bis zum Ende treu geblieben.«
»Vielleicht«, gab Tugomir zurück. »Aber ein Dutzend von ihnen gehörte zu denjenigen, die Otto letztes Jahr in Magdeburg zum Hundetragen verurteilt hat. Und ein Fürst oder ein König muss seinen Untertanen klarmachen, dass er genau einmal Milde zeigt und nicht öfter.«
Sie nickte desinteressiert.
»Nachdem die Franken aufgeknüpft waren, ordnete er an, Thankmar in der Kapelle zu beerdigen. Und am Grab rühmte der König Thankmars Tapferkeit und … und beklagte sein Schicksal.«
Egvina schoss von ihrem Sessel hoch und ohrfeigte ihn. »Er beklagte sein Schicksal ?« Tugomir trat sicherheitshalber einen Schritt zurück, aber Egvina folgte ihm und ging mit den Fäusten auf ihn los. »Wie anständig, dass der König das Schicksal des Bruder beklagt, den er erst um sein Erbe betrogen und dann zu Freiwild erklärt hat! Das ist ja so typisch für ihn!« Sie hatte erstaunliche Kräfte, und die Fäuste, die auf Tugomirs Brust und Oberarme niederfuhren, waren knochig.
»Egvina …«
»Und ich wette,
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