Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
konnte, und sie hatte sich schon so manches Mal gefragt, ob Gott ihr das Fieber geschickt hatte, um sie für ihren Hochmut zu bestrafen, weil sie diesen Weg nie gewollt hatte.
»Vergib mir, Tugomir«, bat sie. »Heute ist gewiss ein schlechter Tag, um über solche Dinge zu sprechen. Du bist niedergedrückt von deiner Trauer, und weil du einen Freund verloren hast, fühlt dein Exil sich einsamer an als je zuvor.« Zaghaft ergriff sie seine Hand und war erleichtert, dass er sie nicht gleich wegzog. Sie betrachtete die feinen Punktlinien auf seinem Handrücken, die immer ein Eigenleben zu führen schienen, wenn er gestikulierte. Sie waren das Erste gewesen, was ihr an ihm aufgefallen war in der Nacht damals, als ihr Vater ihn an ihr Krankenbett geholt hatte. Die Fremdartigkeit dieser Tätowierungen faszinierte sie; sie schienen alles zu symbolisieren, was Tugomir ausmachte.
Er führte ihre Hand für einen Augenblick an die Lippen und ließ sie dann los. »Wer weiß. Vielleicht ist heute genau der richtige Tag, um über diese Dinge zu sprechen. Womöglich wollen die Götter, dass wir Thankmars Schicksal als Warnung verstehen.«
»Wovor?«
»Was es einbringt, sich etwas vorzumachen. Er hätte wissen müssen, dass er Eberhard und Wichmann nicht trauen konnte, und dass seine Rebellion somit zum Scheitern verurteilt war. Er hat es trotzdem getan. Und dafür bezahlt.«
Mit einem Mal fröstelte Alveradis, und es hatte nichts mit den länger werdenden Schatten zu tun. »Ich würde trotzdem mit dir gehen, wenn du nach Hause zurückkehrst«, erwiderte sie. »Vielleicht hast du recht, und die Heveller würden mich hassen für die Taten meines Vaters. Aber wer könnte versuchen, eine Versöhnung zwischen deinem und meinem Volk zu beginnen, wenn nicht du und ich?«
Er lächelte schwach, und sie argwöhnte, dass er sie für einfältig hielt. Dann drückte er noch ein letztes Mal die Lippen auf ihre Schläfe, und obwohl es eine zärtliche Geste war, spürte sie doch ganz genau, wie er sich distanzierte. Das hier war ein Abschied, erkannte sie mit aufsteigender Panik.
»Wie kommst du auf den Gedanken, es könnte Versöhnung sein, die ich will?«, fragte er und wandte sich ab.
Magdeburg, August 938
Eberhards Lippen verweilten nur für einen Lidschlag auf Ottos Fuß, dann richtete der Herzog sich wieder auf die Knie auf, und der König sah genau, dass es ihn Mühe kostete, sich nicht mit dem Ärmel seines kostbaren dunkelgrünen Gewandes über die Lippen zu fahren.
»Ich höre«, sagte Otto.
»Ich erflehe Eure Vergebung für mein Aufbegehren gegen Euch und Euren Thron, mein König, und gelobe, Euch fortan die geschuldete Treue zu halten.«
»Und wie lange dieses Mal? Das Gleiche habt Ihr vor einem Jahr schon einmal geschworen.«
Eberhard war bleich, und feine Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Fast hätte man meinen können, diese neuerliche Unterwerfung bereite ihm körperliche Qualen. »Ich weiß sehr wohl, dass ich hohe Ansprüche an Eure Milde stelle. Aber wessen Milde könnte größer sein als die des Königs?«, brachte er hervor und verlagerte das Gewicht seines Körpers ein wenig zur Seite, weil ihn vermutlich die Knie schmerzten.
Otto dachte nicht daran, ihn aufstehen zu lassen. Er legte die Hände auf die Armlehnen seines Sessels und beugte sich vor. »Und was würdet Ihr an meiner Stelle tun, Eberhard?«, fragte er stattdessen.
Der Herzog verengte die Augen und sah ihm einen Moment direkt ins Gesicht, ehe er demütig wieder den Blick senkte. »Ich bin hier, um ein Urteil zu empfangen, nicht, um eines zu fällen«, gab er zurück.
»Da Ihr indes glaubt, dass eigentlich Euch die Krone zusteht, die ich trage, hätte ich doch zu gerne gewusst, wie Ihr an meiner Stelle entscheiden würdet.«
Es wurde noch stiller in der Halle, falls das möglich war. Otto hatte seinen gesamten Hof versammelt, um möglichst viele Zeugen für Eberhards neuerlichen Treueschwur zu haben, aber auch, gestand er sich ein, um dies hier für den abtrünnigen Frankenherzog so schlimm wie möglich zu machen. Editha, Henning und seine Frau, Erzbischof Friedrich, der Kanzler und der Kämmerer saßen mit ihm an der hohen Tafel. Die adligen Priester und Mönche der Hofkapelle, Wichmann Billung und weitere sächsische Edelleute, Prinz Tugomir, die jungen Grafensöhne, die zu den Panzerreitern zählten und mit Otto zur Eresburg gezogen waren, füllten die Seitentafeln, einfache Soldaten und Wachen, sogar Mägde und Knechte drängten sich
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