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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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und zog sie neben sich. »Wir haben nicht viel Zeit, Alveradis«, warnte er.
    Ein wohliges Gefühl durchrieselte sie jedes Mal, wenn er ihren Namen aussprach. Sein Akzent war schwach geworden nach all den Jahren, lag mehr im melodiösen Klang seiner Stimme als der eigentlichen Aussprache seiner Worte, und trotzdem sagte niemand ›Alveradis‹ so wie er. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. »Ich weiß.«
    »Geht es dir gut? Ist die Königinmutter anständig zu dir?«
    »Ja.« Das entsprach streng genommen nicht ganz der Wahrheit, denn Mathildis behandelte sie äußerst kühl, manchmal schroff und sah sie an, als bereite Alveradis’ Anblick ihr eine leichte Übelkeit. So ähnlich, wie sie die Huren ansah, die die Wachen in die Pfalz kommen ließen. In Mathildis’ Augen war sie eine Gefallene, wusste Alveradis. Aber es gab andere unter den Kanonissen, die ihr mit Wärme und Freundlichkeit begegneten. »Vor allem die Priorin ist gut zu mir, und deine Schwester ist mir eine wahre Freundin.«
    »Gut.« Es klang nicht wirklich zufrieden.
    Sie schwiegen einen Moment, und Alveradis lauschte seinem Herzschlag. »Du warst bei ihm, als er starb?«, fragte sie schließlich.
    »Woher weißt du das?«
    »Mirnia hat gehört, wie Hardwin es dem Kämmerer erzählte. Du hast ihn aus der Kirche getragen, sagen sie.«
    Seine Hand lag auf ihrem Kopf, und er strich behutsam, beinah schüchtern mit einem Finger über ihr Ohr. »Lass uns nicht heute davon sprechen«, bat er.
    Alveradis nickte. Sie war selber traurig über Prinz Thankmars Tod. Natürlich wusste sie, dass er ein Verräter gewesen war, und eigentlich durfte man um Verräter nicht trauern. Aber er war der einzige der Vettern ihres Vaters, der jemals nett zu ihr gewesen war. Mehr als das, er hatte ihr immer mehr Beachtung geschenkt als ihren Brüdern, was höchst ungewöhnlich und ihr nie so ganz begreiflich gewesen war. Und in der Nacht nach der Klosterweihe in Magdeburg, als ihr Vater sie mit der Faust niedergeschlagen und dann die Peitsche geholt hatte, um sie für die Schande bezahlen zu lassen, die sie über ihn gebracht hatte, war Prinz Thankmar plötzlich erschienen und hatte es irgendwie fertiggebracht, ihren Vater von seinem Vorhaben abzubringen und sie ins Kanonissenstift zu schicken. Sie hielt es durchaus für möglich, dass sie Thankmar ihr Leben verdankte.
    Sie hob den Kopf von Tugomirs Schulter und schaute ihn an. »Sagt ihr nicht, ›Die Welt ist dunkler geworden‹, wenn ein Mensch stirbt?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Mir kommt es vor, als gelte das für Thankmar ganz besonders. Die Welt schien immer ein bisschen heller, wenn er da war.«
    »Ich wusste nicht, dass du ihn so gut kanntest«, erwiderte er, und ehe sie antworten konnte, hatte er sie wieder in die Arme geschlossen, küsste ihre Stirn und ihre Augenlider und dann wieder ihren Mund, genauso innig und doch so wenig drängend wie vorhin. Ihr wurde klar, dass es Trost war, den er bei ihr suchte, und das machte sie eigentümlich stolz.
    Eng umschlungen saßen sie im duftenden Spätsommergras, während die Dämmerung einen immer tieferen Kupferton annahm, und lauschten schweigend dem Abendlied der Vögel.
    »Was werden wir tun, Tugomir?«, fragte Alveradis schließlich.
    Er strich wieder mit den Lippen über ihr Haar. »Was können wir tun?«
    »Durchbrennen und über die Elbe fliehen?«
    »Nein.« Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht, bis sie sich in die Augen sahen. »Es ist lange her, dass der König mir zum letzten Mal damit gedroht hat, die daleminzischen Sklaven aufzuhängen, wenn ich fliehe. Aber ich bin sicher, er hat dieses Versprechen nicht vergessen.«
    »Das würde König Otto niemals tun«, widersprach sie erschrocken.
    »Sei nicht so sicher.«
    »Oh, Tugomir. Du solltest ihn wirklich besser kennen«, schalt sie mit einem nachsichtigen Lächeln.
    Doch er sagte kopfschüttelnd: »Wenn Otto glaubt, etwas zum Wohle seines verfluchten Reiches tun zu müssen, kann er ganz und gar erbarmungslos sein.«
    Die Bitterkeit in seiner Stimme machte ihr zu schaffen. Sie erinnerte sie daran, dass es eine Kluft gab, die sie trennte: Seit Menschengedenken waren Slawen und Sachsen Feinde, die sich wieder und wieder gegenseitig überfallen hatten und beide immer behaupteten, die andere Seite sei schuld. Alveradis bemühte sich, kein Urteil über die Slawen zu fällen, aber im Grunde ihres Herzens glaubte sie, dass der Vater des Königs recht daran getan hatte, einen slawischen Fürstensohn

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