Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
sagte, aber Henning bemühte sich, es nicht gar zu gelangweilt herunterzuleiern. »Ach, was sage ich, im ganzen Reich liegen sie ihr zu Füßen«, fügte er hinzu.
Ludwig seufzte wehmütig. »Ich war erst acht oder neun, als sie uns verließ, um Euren Bruder zu heiraten, aber ich erinnere mich, dass ich sie furchtbar vermisst habe. Sie war immer so gut zu mir. Wie … wie ein Engel.«
Du meine Güte, dachte Henning, was für ein Schwachkopf du bist. Doch da der Schwachkopf Bestandteil seiner Pläne war, machte er gute Miene zum bösen Spiel und erwiderte: »Ich hätte es treffender nicht ausdrücken können.«
Allein Judith hörte den höhnischen Unterton und versteckte ihr Lächeln in ihrem Weinpokal.
Da es sich nicht länger aufschieben ließ, nickte Henning seiner Schwester zu. »Hadwig.«
»Henning«, grüßte sie ebenso frostig.
Ein junger Edelmann nahm von einer hübschen jungen Magd mit rotem Lockenkopf eine Platte mit gebratenen Wachteln in Empfang und stellte sie vor Henning auf die Tafel. Der Prinz stützte die Ellbogen auf den Tisch und begann geräuschvoll zu essen. »Wie ich sehe, brütest du endlich«, sagte er zu seiner Schwester. »Wurde Zeit, oder?«
»Wohl wahr.« Sie machte aus ihrer Erleichterung keinen Hehl, und das ärgerte ihn ein wenig, denn er wollte sie in Verlegenheit bringen.
Hugo, ihr kriegerischer Gemahl mit den furchteinflößenden Narben und dem halben Ohr, legte ihr ungeniert eine seiner Pranken auf den gewölbten Bauch, sah dann vielsagend zu Judith und fragte liebenswürdig: »Und wann darf man Euch gratulieren?«
Henning zwinkerte ihm zu. »Ihr rührt an einen wunden Punkt, Schwager. Es liegt jedenfalls nicht daran, dass wir uns nicht genug Mühe geben würden, so viel ist sicher.«
König Ludwig betrachtete Judith wieder mit unverhohlener Lüsternheit. »Das glaub ich aufs Wort.«
Judith gab vor, ihn nicht gehört zu haben, aber ihre Körperhaltung verriet Henning, dass sie mehr amüsiert als verärgert war. Das war er nicht gewöhnt. Die Weiber in Sachsen – und nicht nur die, die ihn fürchteten – behaupteten gern, Henning sei das schönste Mannsbild, das auf Gottes Erde wandele. Auch Judith sagte das, und inzwischen hatte er es so oft gehört, dass er es glaubte. Es gefiel ihm auch durchaus, denn selbst wenn ihm im Grunde gleich war, wie er aussah, wusste er doch, dass Schönheit Macht bedeutete. Und wenigstens in diesem Punkt hatte er seinen Brüdern etwas voraus. Doch der westfränkische König sah auch nicht übel aus mit seinen dunklen Locken und tiefblauen Augen, fiel ihm jetzt auf, und schien zu glauben, seine königliche Stellung gebe ihm das Recht, sich bei Judith Freiheiten herauszunehmen. Die unbezähmbare Wut, Hennings älteste Freundin, wollte ihm einen Besuch abstatten; er spürte, wie sie sich anschlich. Aber er schickte sie fort, vertröstete sie auf später. Dies hier war zu wichtig. Er vergnügte sich einen Moment damit, sich vorzustellen, wie er Ludwig von jenseits des Meeres das Speisemesser erst ins linke, dann ins rechte Auge rammte. Henning war mit einer blühenden Fantasie gesegnet, und so sah er jedes Detail, das Blut und die glibberigen Überreste der Augen, die über die Wangen tröpfelten, den zum Schrei weit aufgerissenen Mund. Von dem Bild wurde ihm ganz warm ums Herz, und seine fest zusammengebissenen Zähne lösten sich voneinander.
Er blickte zur anderen Seite der Tafel, hielt mit der Wachtel auf halbem Weg zum Mund inne und rief dann: »Gerberga!«, so als hätte er die Tischdame des Königs erst jetzt entdeckt. »Wie unverzeihlich von mir. Und Giselbert!« Du bist ein Tattergreis geworden, Schwager , hätte er hinzufügen können, aber er ließ es sein. Die Erkenntnis gefiel ihm nicht sonderlich, war doch Giselbert von Lothringen der eigentliche Grund, weshalb Henning sich herbemüht hatte.
»Es ist schön, dich zu sehen, Bruder«, sagte Gerberga, und ihr Blick schien voller Wärme. Aber Henning dachte nicht daran, diesem Blick zu trauen. Es lag nicht nur daran, dass ihre Augen eine geradezu gruselige Ähnlichkeit mit Ottos hatten. Er wusste genau, dass Gerberga für ihren königlichen Bruder durchs Feuer gegangen wäre und deswegen niemals seine Verbündete werden konnte. Auf ihre schwesterlichen Gefühle hätte er liebend gern verzichtet.
»Wir sind über Lüttich gereist, um euch einen Besuch abzustatten«, antwortete er. »Aber ihr wart nicht dort.«
Er sagte nicht: Wieso weilt ihr am westfränkischen Weihnachtshof und
Weitere Kostenlose Bücher