Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
»Der beste Schutz gegen das Winterfieber bei dieser Eiseskälte.«
Der Schnee lag eine Elle hoch, und seit er aufgehört hatte zu fallen, war es bitterkalt geworden.
Widukind legte vorsichtig die Hände um den Tonbecher und sog genießerisch das Aroma des heißen Mets ein. Dann antwortete er Tugomir: »Natürlich gibt es auch unter den christlichen Priestern solche, die nach weltlicher Macht streben. Aber wir sehen es nicht als unsere Aufgabe an, hinter dem Thron des Königs zu stehen und ihm irgendetwas einzuflüstern. Wir sind die Mittler zwischen ihm und Gott. Und Gottes Gesetze sind es, die uns bei den Ratschlägen leiten, die wir den weltlichen Herrschern erteilen.«
»Wirklich?« Tugomir verzog die Mundwinkel zu einem Hohnlächeln. » Du sollst nicht töten? Du sollst nicht stehlen? Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut? Sag mir, Widukind, verlieren die Gesetze eures Gottes am anderen Ufer der Elbe ihre Gültigkeit?«
Der Priester sah ihn verdutzt an. »Du … kennst dich erstaunlich gut aus mit unseren Geboten.«
»Mein Kerkergenosse, Vater Gerwald, hat mir mehr oder weniger alles erzählt, was im Buch eures Gottes steht. Ich hatte die Wahl, ihm zuzuhören oder das Genick zu brechen. Kurz bevor ich so weit war, Letzteres zu tun, holte Otto mich raus.«
»Und du hast alles behalten?«
Tugomir zuckte die Schultern. Seit frühester Jugend war er daran gewöhnt, sich zu merken, was er hörte, denn die slawischen Völker hatten keine Schrift, ihre Götter keine Bücher. Alles, was es über sie zu wissen gab, gaben die Priester in Sprüchen und Liedern an ihre Schüler weiter, manche davon so lang, dass es von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang dauerte, sie zu singen. »Ich hatte nicht viel anderes zu tun«, antwortete er und begann, mit dem Löffel die ausgekochten Salbeiblätter aus dem Sirup zu fischen.
Widukind nickte. »Das machst du sehr geschickt«, lobte er.
»Und du hast meine Frage nicht beantwortet.«
Der Cousin des Königs seufzte verstohlen. »Natürlich haben die göttlichen Gebote überall Gültigkeit.«
»Also ist es nach euren eigenen Regeln unrecht, was ihr tut.«
»Das ist es nicht, Tugomir«, widersprach Widukind. »Du weißt genau, was der König will: dein Volk vor der ewigen Verdammnis bewahren, indem er ihm den wahren Glauben bringt.«
Tugomir stieß angewidert die Luft aus. »Das ist der Vorwand.«
»Es ist mehr als das …«
»Jeder Fürst trachtet danach, seine Macht zu erweitern, auch Otto. Seine Nachbarn zu unterwerfen, damit er nicht eines Tages aufwacht und feststellt, dass er selbst von ihnen unterworfen wurde.«
»Wenn das wirklich wahr ist, heißt es im Umkehrschluss, dass die Slawen die Sachsen unterwerfen würden, wenn sie könnten. Demnach wäre es nur weise, den ersten Schlag zu führen.«
»Hm«, brummte Tugomir zustimmend. »Aber euer sonderbarer Gott sagt: Liebet eure Feinde. Tut wohl denen, die euch hassen. Segnet, die euch fluchen . Also, wie ich sagte: Otto verstößt gegen die Regeln eures Gottes, aber keiner der Bischöfe, auf die du so große Stücke hältst, protestiert.«
Widukind schob seinen Becher beiseite, verschränkte die Arme auf dem Tisch und lehnte sich vor. »Aber genau das ist es doch, Tugomir: Indem er die slawischen Völker zum wahren Glauben bekehrt, tut er denen wohl, die ihn hassen, nur bist du nicht in der Lage, das zu begreifen. Es ist nicht viel mehr als hundert Jahre her, dass wir Sachsen genauso ungläubig und verstockt waren wie ihr Slawen heute, und Karl der Große musste unsere Vorväter mit dem Schwert bekehren. Viele sind gestorben, und viel Unrecht ist geschehen, genau wie jetzt. So wie Gero der falsche Mann für seine Aufgabe ist, hat auch Karl falsche Männer ausgewählt. Aber das Ziel war das richtige. Ich wünschte, ich könnte irgendetwas sagen oder tun, um dich von der Barmherzigkeit und Allmacht unseres Gottes zu überzeugen, damit du begreifst, was der König tut und warum. Aber ich weiß, das kann ich nicht. Das kann nur Gott.«
»Barmherzigkeit?«, wiederholte Tugomir bitter. »Thankmar war im Tempel … in einer Kirche, als er die Waffen niederlegte, aber euer Gott hat nicht verhindert, dass ein Mörder ihn feige von hinten mit einer Lanze durchbohrte.«
»Vielleicht weil Thankmar zuvor Blut auf geweihtem Boden vergossen hatte? Das ist ein schwerer Frevel.«
»Mag sein. Aber dein Gott hat auch nichts getan, um ihm wenigstens Trost zu spenden oder seine Schmerzen zu lindern.«
»Bist du
Weitere Kostenlose Bücher