Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Natur entsprach, sondern weil er Angst hatte. »Es ist völlig in Ordnung, um einen guten Mann zu trauern, Wichmann«, erklärte der König. »Dein Vater und ich haben eine Fehde ausgetragen und nun beigelegt. Es liegt an uns allen, neu zu beginnen und es in Zukunft besser zu machen. Das ist der Grund, warum dein Bruder und du hergekommen seid.«
Für einen Lidschlag offenbarte das Gesicht des Jungen Erleichterung und Erstaunen, aber die starre Maske kehrte sofort zurück. »Ich dachte …« Er verstummte wieder.
»Was dachtest du?«, fragte Otto. »Sag es mir.«
»Der slawische Prinz, mein König. Eure Geisel. Stimmt es, dass er im Verlies eingesperrt ist und niemals die Sonne sieht?«
Otto konnte dem scheinbar unvermittelten Themenwechsel im ersten Moment nicht ganz folgen, aber dann begriff er, was den Jungen plagte. »Nein. Er war eine Weile eingesperrt, weil er etwas ausgefressen hatte, aber er ist längst wieder frei. Er ist ein sehr angesehener Mann hier, weißt du, ein großer Heiler. Und mein Leibarzt. Er hat mir einmal das Leben gerettet, als ich krank war, und ich für meinen Teil bin ihm freundschaftlich gesinnt. Aber wie dem auch sei. Du und dein Bruder seid nicht als Geiseln hier, Wichmann, sondern um mit Liudolf gemeinsam erzogen zu werden und Freundschaft zu schließen. Verstehst du den Unterschied?«
»Aber Vater hat gesagt, wenn wir nicht folgsam sind und immer tun, was man uns hier sagt, werdet Ihr uns ohne Essen einkerkern und jeden Tag verprügeln lassen wie Eure slawische Geisel«, brach es aus dem Jungen hervor.
Gut gemacht, Wichmann , dachte Otto grimmig. Welch ein vielversprechender Neuanfang . »Er hat sich getäuscht«, versicherte er dem Jungen lächelnd. »Heute Abend bitten wir Prinz Tugomir an die Tafel in der Halle, und du kannst dich selbst davon überzeugen. Wer weiß, vielleicht kannst du auch mit ihm Freundschaft schließen. Alle Kinder an meinem Hof sind ihm sehr zugetan.«
Das schien überhaupt nicht mit den Vorstellungen zusammenzupassen, die der Junge sich gemacht hatte, aber ein Teil der Anspannung war aus seiner Haltung gewichen. Er zeigte den Anflug eines Lächelns, senkte dann eilig wieder den Kopf und murmelte: »Ich hoffe, Ihr denkt nicht, ich zweifle an Eurem Wort, mein König.«
»Nein, Wichmann«, versicherte Otto. »Ich denke nur Gutes von dir.« Weil du ein Narr bist , hörte er Thankmar in seinem Kopf spötteln, der von jedem nur Gutes denkt, bis er eines Besseren belehrt wird …
Als er eine Stunde später in die Gemächer seiner Frau kam, fand er den Kämmerer bei ihr, der ihr wieder einmal vorrechnete, dass sie und der König dem Kloster in Magdeburg zu viel Geld spendeten.
Editha gab vor, ihm höflich zu lauschen, aber Otto sah auf einen Blick, dass sie in Gedanken meilenweit fort war.
»Hadald«, grüßte er den Kämmerer. »Seid so gut, schickt nach Prinz Tugomir.«
»Ihr seid nicht krank, mein König?«, fragte Hadald.
Otto schüttelte den Kopf. »Richtet ihm aus, es ist mein Wunsch, dass er heute Abend an die Tafel in der Halle kommt. Das tut er viel zu selten in letzter Zeit, und ich weiß genau, warum. Aber das richtet ihm besser nicht aus.«
»Gewiss, mein König.« Hadald war kein unterwürfiger Höfling, aber er hielt große Stücke auf Etikette und Höflichkeit. Seine Verbeugung vor Otto war immer so tief, dass das schüttere Haar, das er sorgsam von links nach rechts über die Glatze gekämmt trug, jedes Mal abzustürzen und den Fußboden zu fegen drohte. Anders als den greisen Kanzler hatte Otto den Kämmerer nicht von seinem Vater geerbt, obwohl er aus dessen Generation stammte. Hadald war der jüngere Bruder eines thüringischen Grafen, und Otto hatte ihn auf Edithas Rat hin ausgewählt. Schon in seinen Magdeburger Prinzenjahren hatte Hadald Ottos Haushalt geführt und seine Einkünfte und Ausgaben mit Umsicht verwaltet. Er war ein kluger und findiger Ratgeber nicht nur in finanziellen Belangen, aber er wäre im Traum nicht darauf gekommen, Ottos ehrgeiziges politisches Ziel eines geeinten Reiches aller deutschsprachigen Völker mit väterlicher Gönnerhaftigkeit infrage zu stellen, wie der alte Poppo es gelegentlich tat.
Hadald wandte sich zur Tür.
»Lass uns allein, Gundula«, befahl Otto.
Die dicke Zofe knickste und folgte dem Kämmerer hinaus – unverkennbar eingeschnappt.
»Sie scheint zu glauben, sie habe ein Anrecht darauf, an jedem unserer Geheimnisse Anteil zu haben«, bemerkte er, setzte sich auf den Schemel Editha
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