Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
gegenüber und nahm eine Handvoll Nüsse aus der Schale auf dem Tisch.
»Gundula ist eine treue Seele«, entgegnete Editha. »Ich werde nie verstehen, was du gegen sie hast.« Aber es klang abwesend.
Otto aß lieber eine Nuss, statt sich auf eine Debatte einzulassen, ließ ein paar Atemzüge verstreichen und fragte dann: »Also?«
Editha ergriff den Pergamentbogen, der vor ihr auf dem Tisch lag. Otto sah, dass der Absender nicht mit Wachs gegeizt hatte, aber er konnte den Siegelabdruck nicht erkennen.
»Deine Schwester hat mir geschrieben«, begann die Königin ernst.
»Hadwig?«
Sie schüttelte den Kopf. »Gerberga.«
Otto verspürte im ersten Moment Erleichterung, denn Giselbert von Lothringen, Gerbergas Gemahl, war ein harmloser, in die Jahre gekommener Geselle – derjenige unter den Herzögen, der am einfachsten zu handhaben war. Doch Edithas Miene warnte ihn, dass Erleichterung nicht angebracht war.
»Lies es mir vor«, bat er.
Sie faltete den Bogen auseinander, legte ihn in den Schoß und blickte ihren Gemahl an. »Es ist schlimm, Otto.«
»Das sehe ich. Also spann mich nicht weiter auf die Folter, sei so gut.«
Sie nickte und begann zu lesen: »Gerberga, Herzogin von Lothringen, an meine geliebte Schwägerin Editha, Königin des ostfränkischen Reiches, Grüße. Seltsames und Beunruhigendes habe ich Dir zu berichten, doch soll mich das nicht hindern, Dir, meinem geliebten Bruder und Euren Kindern Gesundheit und Gottes Segen zu wünschen. Ich sende diesen Brief an Dich, weil ich nicht wage, meine Nachrichten einem Boten anzuvertrauen.« Die Königin sah kurz auf und bemerkte: »Es wird wirklich Zeit, dass du das Lesen erlernst, mein König. Was hätte Gerberga getan, wenn ich nicht zur Stelle wäre, um dir ihren Brief vorzulesen?«
Otto winkte ab. »Diese Predigt kenne ich auswendig. Erspar sie mir für heute, was meinst du?«
Mit einem bekümmerten kleinen Lächeln las sie weiter: »Ich bin nicht sicher, ob ihr darüber im Bilde seid, dass Henning am Dreikönigstag am Hof in Laon eintraf, auf der Suche nach meinem Gemahl, wie mir inzwischen klar geworden ist.«
»Was?« , fuhr Otto auf. »Henning ist auf seiner Festung in Dortmund …« Er unterbrach sich und dachte kurz nach. »Oder zumindest glaubte ich das, weil Aginas Bote es gesagt hat«, murmelte er dann. Agina war ein Grafensohn aus dem Westfälischen, dem Otto die Aufgabe übertragen hatte, Henning auf Schritt und Tritt zu begleiten und ihm – dem König – umgehend Nachricht zu senden, sollte Henning auf Abwege geraten. Otto hatte Agina vertraut, weil er ein mutiger Soldat war, der sich im Kampf gegen Ungarn, Slawen und Bayern viele Male bewährt hatte. Aber es blieb die Tatsache, dass die Königinmutter ebenfalls aus Westfalen stammte und dort viel Rückhalt hatte. »Nicht ausgeschlossen, dass Agina sich von Henning hat umdrehen oder kaufen lassen«, schloss er. Er hätte sich ohrfeigen können, dass er die Gefahr nicht hatte kommen sehen.
Editha hob ratlos die Schultern und fuhr fort: »Anfangs war ich natürlich glücklich, endlich einen meiner Brüder wiederzusehen, doch wurde ich argwöhnisch, als mein Gemahl und mein Bruder sich nach unserer Rückkehr nach Lüttich wieder und wieder zu geheimen Beratungen zurückzogen. Schließlich habe ich meine Erziehung, meine Ehre und die Loyalität, die ich meinem Gemahl schulde, über Bord geworfen und Giselbert mit zu viel unverdünntem Wein und anderen weiblichen Schlichen, über die ich Dir gewiss nichts erzählen muss, entlockt, was er so Vertrauliches mit Henning zu erörtern hatte. Und wie sich herausstellte, ist es um Giselberts und Hennings Ehre weitaus schlechter bestellt als um die meine. Sag Otto dies, Editha: Giselbert stellt eine Truppe auf, um sie gemeinsam mit Henning nach Sachsen zu führen, Otto vom Thron zu stoßen und Henning zu krönen. Ich habe in Erfahrung gebracht, dass Henning vor einigen Wochen mit der heimlichen Unterstützung unserer Mutter in Saalfeld ein Gastmahl gegeben und dort viele sächsische Grafen trefflich bewirtet und mit Geschenken überhäuft hat, um sie auf seine Seite zu bringen. Namen habe ich leider nicht gehört, aber Henning hat drei Männer in seinem Gefolge, die nicht von seiner Seite weichen und sein Vertrauen genießen: Wiprecht von Stendal, der junge Graf im Balsamgau. Hildger von Iburg. Und Volkmar von Halberstadt. Also rechnet lieber damit, dass auch der Nethegau und Harzgau an der Rebellion beteiligt sind. Was mein Gemahl sich
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